Bundestrainer-Frage DFB-Dilemma auch bei Ja-Wort: Löw müsste sich ändern

Berlin (dpa) - Alle warten auf eine Nachricht aus Freiburg - und nicht nur auf Bilder von Joachim Löw aus dem „Café Auszeit“.

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Will der Bundestrainer allen Widerständen trotzen? Hat er die Kraft und die Zuversicht, die am Boden liegende Fußball-Nationalmannschaft wieder aufzurichten? Ist er wirklich bereit zu radikalen und damit auch unbequemen Veränderungen - sogar bei sich selbst? Die Verbandsbosse und auch seine bei der WM in Russland desolat aufgetretenen Spieler haben dem angeschlagenen Chefcoach eine Brücke gebaut. In der neuen Woche wird vom 58-jährigen Löw eine Entscheidung gefordert, ob er darüber gehen will.

Ein erstes Signal kam über die „Bild am Sonntag“, die Fotos von einem lässig wirkenden Löw in seiner Heimatstadt Freiburg veröffentlichte. Der 58-Jährige fuhr in einem schwarzen Oldtimer-Cabrio aus den 60-er Jahren zu seinem Stammcafé vor. Er diskutierte dort mit Freunden. Löw wirkte so, wie er sich auch in den schwierigen WM-Tagen demonstrativ präsentierte: Keine Panik, ich habe die Lage im Griff. Die war ihm jedoch beim viel zu kurzen WM-Aufenthalt in Russland entglitten. „Im Moment habe ich keine schlüssige Antwort darauf“, sagte er nach dem K.o. gegen Südkorea.

Jetzt muss der Südbadener mit einer knallharten Analyse und einem klaren Veränderungsplan die Zweifel zerstreuen, dass er Richtung EM 2020 neue Antworten geben könnte. Jérôme Boateng und Sami Khedira, zwei aus der Weltmeister-Generation von 2014, haben ihrem Chef bereits den Wunsch übermittelt, ihn gerne weiter im Amt zu sehen. „Auf jeden Fall“, sagte der 29 Jahre alte Abwehrspieler Boateng in der „Welt am Sonntag“ und betonte: „Wir Spieler waren und sind in der Pflicht. Wir standen auf dem Spielfeld. Der Trainer hat uns klare Worte und Anweisungen mitgegeben, die wir nicht umgesetzt bekommen haben.“ Allerdings sagte Boateng auch, ohne speziell den Trainer zu erwähnen, dass alle „blauäugig in das Turnier gegangen“ seien. Und einfach den Schalter umlegen, „ging dann nicht“. Ein fatales Urteil.

Der Verband steckt in der Löw-Frage nach dem ersten Vorrunden-Aus einer deutschen Nationalelf bei einer WM-Endrunde im Dilemma. Einerseits scheint die komplette DFB-Führung einschließlich Direktor Oliver Bierhoff weiter voll auf die Karte Löw zu setzen. Das ließ sich Verbandsboss Reinhard Grindel nochmals in einer Telefonkonferenz von seinen Präsidiumskollegen bestätigen. „Da gibt es keine andere Meinung - ein klarer Vertrauensbeweis“, hieß es danach aus dem DFB.

Andererseits wissen Grindel und Bierhoff, der selbst einen Teil an der Verantwortung für die WM-Blamage trägt: Ein einfaches Weiter-so kann es in dieser Situation nicht geben. Löw müsste die von ihm selbst angekündigten „tiefgehenden Veränderungen“ auch auf seinen Führungsstil und sein engeres Umfeld anwenden. Er müsste in Zukunft auch Widerstände, Widersprüche und eine kollektive Beratung zulassen. Was derzeit nur schwer vorstellbar scheint.

Bierhoffs Verhältnis zu Löw dürfte ein wesentlicher Faktor sein. Der Vertrag des Nationalmannschaftsmanagers, der zugleich als Direktor des Elitebereichs bei einem Löw-Rücktritt die Nachfolge regeln müsste, war vom DFB vor der WM in Russland bis 2024 verlängert worden und damit sogar noch um zwei Jahre mehr als der Kontrakt von Löw. „Wir wissen, das sich die Mannschaft nicht so präsentiert hat, wie sie sich in letzten Jahren gezeigt hat“, bemerkte der ehemalige DFB-Kapitän: „Da müssen wir Dinge angreifen.“

Löw müsste sich von einem Teil der goldenen Generation um Boateng, Khedira, Manuel Neuer, Mats Hummels, Toni Kroos, Mesut Özil und Thomas Müller trennen, um mit Blick auf die EM 2020 und die WM 2022 eine bessere Struktur als in Russland zu finden. Diese Generation hat aber wesentlich dazu beigetragen, dass der gebürtige Schwarzwälder seine exponierte Stellung im Nationalmannschafts- und Verbands-Gefüge erreichen konnte. Boateng sieht von sich aus keinen Grund zum Verzicht auf die DFB-Auswahl: „Ich sehe mich auch überhaupt noch nicht am Zenit meiner Leistungsfähigkeit angekommen.“

Von Özil und Ilkay Gündogan, deren umstrittenes Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan das Klima anders als vom DFB lange behauptet negativ beeinflusst hatte, sind ebenfalls keine Rücktrittsgedanken bekannt. Der Frust sitzt überall noch tief. „Wir müssen und wir werden nach der Sommerpause aber wieder aufstehen“, schrieb der 27 Jahre alte Gündogan in den sozialen Netzwerken. Der 29-jährige Özil ließ wissen: „Wir waren einfach nicht gut genug. Ich werde einige Zeit brauchen, um darüber hinwegzukommen.“

Boateng verteidigte Özil, der von vielen als Symbol für den Absturz der Nationalmannschaft gesehen wird: „Alle haben sich jetzt Mesut Özil rausgepickt. Das geht nicht“, erklärte Boateng: „Die ganze Mannschaft ist in der Verantwortung.“ Allerdings grübelt Boateng weiter, wie es zum WM-Desaster kommen konnte: „Es ist tatsächlich schwer nachvollziehbar, dass man bei einer WM so auftritt. Ich will nicht sagen lustlos, aber wir sind wie gelähmt aufgetreten.“

Schon in zehn Wochen muss der gestürzte Weltmeister in der neu geschaffenen Nations League ran. Deshalb legt der DFB bei der Aufarbeitung zunächst alle Konzentration auf die Cheftrainerfrage. Erst dann sollen Themen wie die arg kritisierte Außendarstellung der Nationalmannschaft, die Abkapselung von der Öffentlichkeit, die Zusammenstellung des immer größer werdenden Stabes der Löw-Helfer, die Rolle der Assistenztrainer oder Organisationsfragen in den Fokus rücken. Noch lautet die zentrale Frage: Wer sitzt am 6. September in München beim Spiel gegen Frankreich als Bundestrainer auf der Bank?