Die Weltmeister-WG — und wer bitteschön bringt den Müll raus?

Die deutschen Nationalspieler logieren im Campo Bahia zu sechst in Bungalows

So lässt sich’s leben: Die DFB-Wohngemeinschaften sind auf verschiedene Bungalows verteilt. Foto: dpa

Foto: Vera Gomes

Santo André/Bahia. Es soll ja immer noch Vermieter geben, die in ihren vier Wänden lieber keine Wohngemeinschaften haben wollen. Man weiß ja nie, was diese jungen Leute so treiben. Und ob die wohl den Flur putzen? Insofern ist die neue WM-Taktik der deutschen Delegation in Brasilien mehr als nur der Versuch, den hoch bezahlten Profifußballern ein besonderes Gefühl für Gemeinschaft und Eigenverantwortung einzuimpfen, sondern wahrhaftig ein Modell mit Vorbildcharakter.

Ein Kommentar von Thomas Gehringer.

Ach was, eine Revolution, die ausstrahlen wird auf die Gesellschaft. Studenten auf Wohnungssuche können jetzt auf den DFB verweisen. Wenn dem schon das Lotterleben zu sechst in einer Männer-WG als geeignet erscheint, den WM-Titel zu erringen, dann ist diese libertäre Lebensform vielleicht doch endlich hoffähig geworden.

Zumal der smarte Teammanager und Quartiermeister Oliver Bierhoff, der Sohn eines RWE-Managers und — jedenfalls bis 2010 noch — Befürworter der Atomenergie, sicher nicht als Alt-68er durchgeht. Und auch sonst ist die Bürgerschreck-Quote im deutschen Fußball-Lager nicht allzu hoch: Anführer der Musterschüler-Truppe ist der (rede-)wendige Philipp Lahm. Allein Thomas Müller und Lukas Podolski darf man vielleicht den einen oder anderen Lausbuben-Streich zutrauen.

Und man wüsste schon gerne, wem Kevin Großkreutz, dem der Weg zur Hotel-Toilette unter Umständen auch mal zu lang werden kann, zugeteilt wurde. Aber der DFB macht ja aus der Verteilung seines kickenden Personals auf die edlen Bungalows im Campo Bahia ein Staatsgeheimnis, als befürchtete man, die Medienmeute leite daraus wer weiß was ab.

Die neue Sechserketten-Taktik des DFB revolutioniert jedenfalls auch das eigene, etwas bräsige Verbands-Image. Die Zusammenkünfte der Nationalmannschaft hatten lange Zeit eher biederen Charakter, irgendwo zwischen Pfadfinder-Lager und Kasernen-Drill. Mit der „Elf Freunde“-Kameradschaft wurde 1954 der „Geist von Spiez“ beschworen, was dem in Sachen Kameradschaft noch bestens vertrauten Nachkriegs-Deutschland 1954 den WM-Titel einbrachte.

Und noch 1974, bei der WM im eigenen Land, kasernierte der DFB unter der Führung des strammen Präsidenten Hermann Neuberger die Beckenbauers, Netzers und Co. in der Sportschule Malente ein - ein eingezäunter, streng bewachter Hort der Langeweile im Niemandsland. Ohne Playstation und Internet (gab’s noch nicht), aber auch ohne Fernsehen (gab’s schon).

Schier unvorstellbar, aber wahr: Neuberger wollte damals keine Prämien zahlen, was den Profis irgendwie nicht einleuchten wollte. Hobby-Revoluzzer Paul Breitner saß angeblich schon auf gepackten Koffern, und der eine oder andere Nationalspieler büxte heimlich zur Reeperbahn aus. Das Modell Kaserne hatte ausgedient.

Seitdem bemühte sich der DFB um ein bisschen Abwechslung zwischen Training und Spielen. Man nächtigte traditionell in Ein- oder Zweibett-Zimmern. Bei der letzten EM 2012 in Polen und der Ukraine soll der Teamgeist aber nicht so doll gewesen sein, deshalb wagte man nun den mutigen Schritt ins Kommune-Zeitalter. Ein später Triumph des 68er-Freigeists, wenn auch in der XXL-Luxus-Variante.

Dass sich nun sechs nackte Männer mit dem Rücken zur Kamera an die Wand lehnen, wie einst die revolutionäre Kommune 1 um Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann, und Fotos von sich um die Welt twittern und posten, ist eher nicht zu erwarten.

Das Private mag vielleicht politisch sein, aber in der Nationalelf ist das Private vor allem: privat. Und natürlich, wir reden vom DFB, hat jeder der vier Spieler-Bungalows „Hausmeister“: Neben Lahm sind das Per Mertesacker, Miroslav Klose und Bastian Schweinsteiger, der damit endgültig seinen „Schweini“-Ruf abstreifen kann.

Außerdem hat jeder sein eigenes Zimmer. Und sogar sein eigenes Badezimmer. „Was heißt WG? In einer WG geht es etwas enger zu.“ Das weiß sogar Philipp Lahm, obwohl der nie in einer WG gelebt hat. Für alte WG-Hasen stellen sich allerdings drängende Fragen: Wer räumt auf? Wer putzt? Wer trägt den Müll raus?

Und muss einer, sagen wir: Großkreutz, immer dann zufällig aufs Klo, wenn es abzutrocknen oder die Spülmaschine auszuräumen gilt? Das sind nun die Fragen, von denen Wohl und Wehe des deutschen Fußballs abhängen. Hier lauert ein Abgrund alltäglicher Konflikte. Der Teamgeist wird zu einer Angelegenheit der Haushaltsführung. Hoffen wir, dass das beim DFB besser klappt als in einer gewöhnlichen WG.