Die zweite Wahrheit der Minimalisten aus Argentinien

Die „Albiceleste“ gewinnt gegen Belgien erneut mit nur einem Tor Unterschied — Ausdruck einer neuen Stabilität.

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Brasilia. Immerhin das hat Lionel Messi noch nicht geschafft. Der Platz ganz vorne rechts im hellblauweiß lackierten Mannschaftsbus der argentinischen Auswahl gehört noch immer dem Trainer. In den monumentalen Unterbauten des Estadio Nacional von Brasilia hatte sich Alejandro Sabella sehr beeilt, um den Platz zu besetzen. Dann nahm der Fußballlehrer aus Buenos Aires seine Lesebrille und stöberte nach dem 1:0 gegen Belgien in seinen Aufzeichnungen.

Draußen auf den breiten Straßen dieser in Beton gegossenen Stadtvision fahndeten seine Landsleute nach Orten, um den fünften Sieg im fünften Spiel mit einem Tor Unterschied zu feiern, während Señor Sabella sich in die Vorbereitung für den sechsten Auftritt vertiefte.

Am Mittwoch warten nun die Niederlande im Halbfinale. „Wir wollen noch zwei Spiele machen, um uns einen Traum zu erfüllen“, verkündete Torschütze Gonzalo Higuain, aber in São Paulo könnte ein solch minimalistischer Auftritt wie in Brasilia nicht mehr ausreichen.

Wenig respektvoll stellte der belgische Abwehrrecke Daniel van Buyten fest: „Die Argentinier sind gut organisiert, aber die Niederländer sind besser.“ Und für ein Aufeinandertreffen mit Deutschland in einem Finale würde gelten: „Dann setze ich alles, was ich habe, auf Deutschland.“ Auch Belgiens Nationaltrainer Marc Wilmots urteilte: „Die Argentinier sind ein ganz gewöhnliches Team mit einem außergewöhnlichen Spieler.“

Aber hinter diesem Viertelfinale verbarg sich noch eine zweite Wahrheit. Nämlich die, dass die „Albiceleste“ unter dem unterschätzten Sabella sehr wohl einen Fortschritt gemacht hat. Im Vergleich zu 2006 und 2010 zumindest, als jeweils eine deutsche Elf das Stoppschild aufstellte. Javier Mascherano ließ sich mit dem Schlusspfiff auf die Knie fallen und ballte kräftig die Fäuste — der 30-Jährige hatte zweimal am eigenen Leib erlebt, wie seine Auswahl in diesem Turnierstadium scheiterte.

Und der heimliche Anführer hat Sabellas Strategie sehr befürwortet, mit der Hereinnahme eines zweiten Abfangjägers namens Lucas Biglia die hoch gehandelten Belgier vom eigenen Tor fernzuhalten. Der laufstarke Lazio-Legionär schaffte es an Mascheranos Seite, die Reihen fast immer zu schließen — und damit legten die Argentinier jenen Kardinalfehler von vor vier Jahren ab, als unter dem clownesken Diego Maradona kein Gleichgewicht zwischen Defensive und Offensive bestand.

Dieses Trauma war besiegt, und dafür lobte sich Sabella gerne selbst: „Wir besitzen wieder eine Balance. Das war ein wundervoller Auftritt.“ Der 59-Jährige hatte zudem noch Martin Demichelis als Prellbock in die Innenverteidigung eingebaut, was auch nicht die schlechteste Idee darstellte. Der ehemalige Münchner half mit, zum ersten Male nach 1990 wieder ein Halbfinale zu erreichen.

Solist Messi legte einige schöne Kabinettstückchen hin, war aber längst nicht so effektiv. „Er muss nicht immer Tore schießen“, sagte Sabella, „er hat trotzdem großen Einfluss auf unser Spiel.“ Und es sprach für den Mannschaftsgeist, dass nicht mal der 27-jährige Welt-Star etwas zu mäkeln hatte. Es sei ihr „bestes Spiel“ gewesen, gab „La Pulga“, der Floh, flunkernd zu Protokoll. „Es war eine erstaunlich lange Zeit, dass Argentinien nicht in einem WM-Halbfinale war, es war an uns, diese Grenze zu überschreiten. Jetzt wollen wir noch mehr.“

Für weitere historische Taten sollte Messi indes wieder Mitspieler vorfinden, die auf seine Ideen eingehen. Das könnte schwierig werden: Sergio Aguero fehlte erneut, und nun sackte nach 33 Minuten auch noch Angel di Maria zusammen. Erste Diagnose: Oberschenkelverletzung. Argentinische Medien berichteten bereits vom WM-Aus di Marias, doch dies wurde bisher nicht bestätigt. Ohne di Maria wäre es noch viel unwahrscheinlicher, dass nach dem Halbfinale in São Paulo wirklich der argentinische Marsch zum Finale ins Maracanã von Rio de Janeiro einsetzt.