Gesten und Blicke sagen mehr als tausend Tore
Ausgestreckte Zeigefinger, Polonaise beim Einlaufen und andere Formen der Kicker-Symbolik.
Berlin. Fußballer sind Darsteller — das gilt nicht nur für diejenigen, die tatsächlich einen Filmauftritt hatten wie Paul Breitner („Potato Fritz“) oder Berti Vogts („Tatort: Habgier“). Längst unterstreichen die Kicker auch auf dem Rasen mit Gestik und Mimik, was in ihnen vorgeht. Eine unvollständige Übersicht bemerkenswerter Darstellungen und der dafür nötigen Körperteile:
Der ausgestreckte Zeigefinger ist in Deutschland zum Zeichen des Erfolgs avanciert. Nicht nur Sebastian Vettel bedient sich nach Formel-1-Siegen dieser Geste, auch bei Deutschlands bestem WM-Torschützen Thomas Müller schnellt der Finger in die Höhe, wenn es wieder „gemüllert“ hat. Keine aufwendige Tanz-Choreografie, kein Küsschen auf den eintätowierten Namen der Liebsten — nur der Finger. Müller unterstreicht damit, was sich mancher Fan erhofft: keine Schnörkel auf dem Weg zum Ziel. Immer dem Zeigefinger nach.
Landet bei der WM ein Ball im Tor, gehen die Herzen auf — nicht nur bei den jubelnden Fans. Brasiliens Neymar machte es nach dem Elfmeter-Krimi gegen Chile, Argentiniens Ángel di María nach dem Siegtreffer gegen die Schweiz und Kevin de Bruyne nach seinem Tor gegen die USA: Ein Herz, geformt mit den Fingern. Eine generelle Deutung verbietet sich — die Kicker wissen selbst am besten, wer sich angesprochen fühlen darf.
Was die Brasilianer vor ihren Spielen aufführen, nennen Spötter die schönste Polonaise seit Gottlieb Wendehals („Polonäse Blankenese“). Die rechte Hand auf der rechten Schulter des Vordermanns ziehen sie ins Stadion ein. Allerdings ist davon auszugehen, dass Neymar und Co noch nie von einem Gottlieb Wendehals gehört haben. Was sie wohl zeigen wollen: Wer gegen Brasilien antritt, spielt gegen eine eingeschworene Truppe. Dabei haben die Gegner oft das Gefühl, vor allem gegen Neymar zu spielen.
Die Bekreuzigung vor dem Anpfiff oder nach dem Tor gehört zum Standard-Repertoire des Fußballers. Was in Brasilien hinzukommt: der Blick gen Himmel. Die Spieler wollen scheinbar zeigen: Eine glückliche Fügung kommt nicht von ungefähr. So wie bei Mario Götze, der mit einem eher zweitklassigen Kopfball ans eigene Knie gegen Ghana traf. Oder bei Brasiliens Fred, als er den ersehnten Elfmeter-Pfiff im Spiel gegen Kroatien hörte. Dankend blickte der Stürmer in Brasiliens Himmel. Oder eher bange? Der liebe Gott soll ja bekanntlich mehr sehen als der Schiedsrichter.