0:2 gegen Südkorea Historische Pleite für Deutschland - Löw bittet um Bedenkzeit

Kasan (dpa) - Im Schockzustand nach der historischen WM-Pleite zog Joachim Löw keinen sofortigen Schlussstrich.

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Bei den Abschiedsworten in Kasan drängte sich aber der Verdacht auf, dass die Ära des entzauberten Weltmeistertrainers von 2014 mit dem beschämenden Vorrunden-Aus in Russland beendet ist. „Das ist jetzt schwierig zu sagen“, begann der 58-Jährige nach dem 0:2 (0:0) gegen Südkorea und dem letzten Gruppenplatz in der Kasan-Arena die Antwort auf die Frage nach seiner Zukunft: „Natürlich brauche ich jetzt ein paar Stunden.“

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„Ich bin jetzt auch geschockt. Wie es weitergeht, darüber muss man mal in Ruhe reden. Das ist für mich jetzt zu früh, ich muss mich erstmal sammeln. Ich bin maßlos enttäuscht über das Ausscheiden“, fuhr Löw in der schwersten Stunde seiner zwölfjährigen Amtszeit und nach der schwersten Niederlage in 165 Länderspielen als DFB-Chefcoach mit leiser Stimme und leerem Blick fort. Ein Umbruch steht bevor.

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Der WM-Schock von Kasan: Deutschland trauert, Deutschland zittert
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Der WM-Schock von Kasan: Deutschland trauert, Deutschland zittert

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Am Donnerstag, um 11.00 Uhr deutscher Zeit wird das Team von Moskau zurück nach Frankfurt fliegen. In Deutschland stehen dem Verband und den Verantwortlichen um Präsident Reinhard Grindel und Teammanager Oliver Bierhoff turbulente Tage bis Wochen bevor und vermutlich die Suche nach einem Löw-Nachfolger. Ein Vorrunden-Aus bei einem großen Turnier hat noch kein Bundestrainer überstanden.

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„Es wird wichtig sein, alles aufzuarbeiten. Es wird alles hinterfragt. Das machen wir auch nach anderen Turnieren. Jetzt wird es noch kritischer“, sagte Bierhoff, ebenfalls geschockt: „Wir alle fallen in ein Riesenloch, in eine Leere, in einen Frust.“ Zu Löw sagte Bierhoff: „Ich gehe fest davon aus, dass Jogi weitermacht.“

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Deutschland gegen Südkorea: Die Blamage in Bildern
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Kapitän Manuel Neuer nannte das Auftreten „bitter und erbärmlich“. Er hätte auch bei einem Weiterkommen keine Hoffnung auf das Gelingen des Projektes Titelverteidigung gehabt. „Spätestens bei der nächsten oder übernächsten Station wäre Halt gewesen für uns“, lautete das harte Urteil des Torwarts. Die Goldene Weltmeister-Generation von Brasilien hatte in Russland brutal abgewirtschaftet. Youngg-won Kim (90.+2) und Hyeung-Min Son (90.+6) besiegelten mit ihren Toren in der Nachspielzeit das Aus.

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„Wir waren moralisch tot nach dem Gegentor“, stöhnte Löw. Vor dem anstehenden Frust-Urlaub vermieden auch Ü30-Spieler wie Neuer (32), Mario Gomez (32) und Sami Khedira (31) Überreaktionen in Form von Rücktritten aus der Nationalmannschaft. Bierhoff mahnte: „Es werden mehrere Punkte sein, die man zusammentragen muss, ohne dass man alles über den Haufen schmeißt oder alles infrage stellt.“

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Kann es aber einen Neubeginn mit Löw und seinem Trainerstab geben, mit dem DFB-Boss Grindel den Vertrag kurz vor dem Turnier noch bis zur nächsten WM-Endrunde 2022 in Katar verlängerte? Der „brutal frustrierte“ Chefcoach entschuldigte sich zunächst einmal bei den deutschen Fans und übernahm die „Verantwortung“ für das Versagen, das sich abgesehen vom Glücksmoment des späten Toni-Kroos-Tores beim 2:1 gegen Schweden durch das gesamte Turnier zog. „Wir sind verdient ausgeschieden“, gab Löw zu.

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Untergangsszenarien hält er für unangemessen. „Ob ich eine dunkle Zeit für den deutschen Fußball befürchte? Das denke ich nicht. Wir waren bis zu diesem Turnier die konstanteste Mannschaft der letzten zehn, zwölf Jahre. Wir waren immer unter den letzten Vier bei den Turnieren. Wir haben eine lange Periode hinter und mit der Krönung 2014 in Brasilien und 2017 beim Confed Cup. Jetzt hat es uns getroffen, das ist absolut traurig. Aber wir haben schon auch junge Spieler, die sehr talentiert und entwicklungsfähig sind. So etwas ist anderen Nationen auch schon passiert. Deswegen müssen wir daraus die richtigen Schlüsse ziehen“, sagte er. 2002 schied Frankreich als Weltmeister nach der Vorrunde aus, 2010 Italien, 2014 Spanien.

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Orientierungslos war Löw nach dem Abpfiff über das Spielfeld geirrt. Er tätschelte auf dem Rasen nur kurz Marco Reus die Schulter, dann verschwand er in den Katakomben. Kapitän Neuer kommentierte: „Man hat nicht gemerkt, dass wir hier eine Weltmeisterschaft spielen.“

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Der Schlafwagen-Fußball gegen limitierte Südkoreaner war entlarvend und dokumentierte das Ende einer Mannschaft, die einen Neuaufbau erfahren muss. „Das hätte ich mir nicht vorstellen können“, sagte Löw zum Untergang in Kasan. Weil Schweden parallel gegen Mexiko mit 3:0 gewann, hätte nicht einmal ein maues 0:0 zum Weiterkommen gereicht.

Mats Hummels zog ebenfalls ein knallhartes WM-Fazit: „Das letzte überzeugende Spiel war im Herbst 2017. Das ist sportlich die größte Enttäuschung meines Lebens.“ Russland war der Höhepunkt einer Abwärtsspirale, die auch Löw zu lange nicht wahrhaben wollte: „Wir waren überzeugt, es geht schon gut, wenn das Turnier losgeht.“

Vier Jahre nach dem Triumph in Brasilien scheiterte in nur zehn Turniertagen das Unternehmen Titelverteidigung. „Wir sitzen alle in dem Verlierer-Boot. Grundsätzlich sind wir alle vom Weg von Joachim Löw überzeugt“, sagte Thomas Müller. DFB-Chef Grindel wollte spontan nicht über gravierende Personal-Konsequenzen sprechen. „Wir haben vor der WM gesagt, wir trauen ihm das zu bis 2022. Das ist nach wie vor meine Meinung“, sagte der Verbandschef zu Löw. Wie 1958, 1978 und 1994 konnte Deutschland seinen WM-Titel nicht verteidigen.

Nach dem so wichtigen Last-Minute-Coup gegen Schweden setzte Löw gegen Südkorea seine WM-Rotation fort - ohne Erfolg. Fünf Wechsel in der Startelf verpufften. Bis auf Niklas Süle bot keiner WM-Form an. Von Leon Goretzka kam wenig. Die Rückkehrer Mesut Özil und Khedira floppten erneut. Der nach Verletzung zurückgekehrte Hummels vergab vor dem ersten Gegentor eine große Kopfballchance zum 1:0. „Wenn ich den in der 86. Minute reinmache, reden wir darüber, wie geil es ist, dass wir weitergekommen sind“, klagte der Innenverteidiger.

Die Leistung und das Aufbäumen waren insgesamt viel zu wenig, die Körpersprache verheerend. Der frühere Kapitän Oliver Kahn klagte als ZDF-Experte die Führungsspieler besonders an: „Man hat nicht das Gefühl gehabt, dass in dieser Mannschaft eine Achse vorhanden ist. Es bleibt ein Rätsel, wie man in so einem Zustand der phasenweisen Apathie dieses letzte Gruppenspiel hingenommen hat.“ Viel Kritik wird die Spieler in den Zwangsurlaub begleiten. „Jegliche Begründungen, die jetzt kommen, können wir aktuell nicht zurückweisen, weil wir mit heruntergelassener Hose dastehen“, sagte Thomas Müller.