Klinsmann: „Gefühle für 90 Minuten außen vor lassen“
São Paulo (dpa) - Fragen an US-Nationaltrainer Jürgen Klinsmann vor dem letzten Vorrundenspiel gegen Deutschland bei einer Pressekonferenz am Dienstag in São Paulo.
Seit der Gruppenauslosung am 6. Dezember war klar, dass es am 26. Juni in Recife zum Duell zwischen den USA und Deutschland kommen wird. Jetzt ist es soweit: Wie gehen Sie in diese Partie?
Klinsmann: Es ist natürlich ein ganz besonderer Moment, ein besonderes Spiel, gar keine Frage. Die Ergebnisse machen es noch interessanter. Wenn wir nicht noch in den letzten 30 Sekunden gegen Portugal unentschieden gespielt hätten, wäre es jetzt ein ganzes Stück einfacher für uns. Ich glaube, dass Deutschland aufgrund der Tordifferenz zu 95 Prozent durch ist. Uns hingegen steht ein weiterer harter Tag bevor, um uns zu qualifizieren. Aber wir sind bereit, freuen uns riesig auf das Spiel. Ich denke, dass es ein schönes Spiel wird, in dem beide Mannschaften nach vorne spielen werden, beide wollen das Ding gewinnen. Für mich persönlich ist es ein wundervolles Wiedersehen mit all den alten Jungs. Ich werde alle vor dem Spiel umarmen und dann die Gefühle für 90 Minuten außen vor lassen.
Sie gelten als Motivationskünstler. Wie sehr müssen Sie Ihre Mannschaft vor diesem Spiel motivieren?
Klinsmann: Bei einer Weltmeisterschaft muss man niemanden motivieren. Da ist jeder bis in die Haarspitzen so heiß, dass er seinen Job macht und der Welt zeigen will, dass er ein guter Spieler ist. Wenn bei uns alle elf ihre Leistungen bringen, dann schauen wir auch sehr gut aus. Ich habe unseren Spielern erklärt, dass eine WM ein Marathon ist, ein Turnier, bei dem man nur von Spiel zu Spiel denken darf. Jetzt kommt mit der deutschen Mannschaft eine Aufgabe auf uns zu, bei der sie alles aus sich rausholen müssen und werden. Darauf haben wir hingearbeitet.
Sie haben in Ihrer Zeit als Bundestrainer nicht nur den Trainerstab aufgebaut, sondern auch viele Spieler geholt, die jetzt noch dabei sind. Welche Rolle spielt es in der Vorbereitung auf die Partie für Sie, dass Sie so viele aus dem deutschen Team so gut kennen?
Klinsmann: Ich freue mich natürlich, Spieler wiederzusehen, die ich damals zwei Jahre lange selbst trainiert habe. Ich habe ihre Karrieren mitverfolgt, mitgefiebert und immer gehofft, dass sie sich irgendwann bei einem großen Turnier die Krone aufsetzen. Ein Titel ist das letzte Quäntchen, das ihnen einfach noch fehlt. Deswegen hoffe ich auch, dass sie es diesmal schaffen.
Sie haben ein gutes Verhältnis zu Joachim Löw. Wie leicht ist es, jetzt für Sie auf Business umzuschalten, wenn es gegen einen Freund geht?
Klinsmann: Ich glaube, Jogi und ich sehen das Ganze sehr gelassen. Wir beide wollen einen guten Job machen. Er weiß, dass ich mit den USA eine andere Aufgabe habe als er mit Deutschland. Die Erwartungen sind in Deutschland andere als in den USA. Aber wir haben natürlich auch einen enormen Ehrgeiz. Wir wollen schon gerne der Welt zeigen, dass da eine Mannschaft ist, die sich langsam der Weltspitze nähert. Wir sind noch nicht in den Top 10, das wissen wir. Aber wir arbeiten sehr akribisch und mit viel Energie daran, dass wir irgendwann mal mitreden mit den großen Fußball-Nationen. Wir sind mitten in einem Lernprozess, und diese WM ist für uns der beste Lernprozess überhaupt. Wir trauen uns schon zu, am Donnerstag mitzureden.
Was ist Ihr Eindruck von der deutschen Mannschaft bislang bei dieser WM?
Klinsmann: Ich denke, dass die Entwicklung sehr positiv ist und mit dem 4:0-Startsieg gegen Portugal vielleicht die Erwartungen gleich zu groß wurden. Und Ghana ist halt sehr schwer zu spielen. Die Gruppe ist sehr schwer, und wir werden es der deutschen Mannschaft unglaublich schwer machen. Das wird ein Hitzespiel in Recife, sehr schwer für beide Mannschaften, dort 90 Minuten fokussiert zu bleiben, keine Fehler zu machen und nach vorne zu spielen. Ich glaube, dass die deutsche Mannschaft absolut das Zeug dazu hat, in diesem Turnier bis zum Ende mit dabei zu sein und um den Titel mitzuspielen. Denn wir Deutsche haben einfach diese Kultur, mit diesen Widrigkeiten umzugehen, sie zu akzeptieren, sie zu nehmen, wie sie sind und sich nicht darüber zu beklagen. Und ich glaube, da ist auch eine gewisse Ähnlichkeit da zur amerikanischen Kultur. Und deshalb glaube ich auch, dass wir als USA in diesem Turnier für einige Überraschungen sorgen können.
Wie sehr ärgert Sie die Ausgangssituation? Bei einem Unentschieden wären beide Mannschaften im Achtelfinale. Es ist bereits die Rede von einem zweiten Gijon.
Klinsmann: Da wird nichts komisch laufen. Ich fand es auch ein bisschen überzogen von einem deutschen Journalisten, direkt nach unserem Spiel in Manaus gegen Portugal solch ein Spiel hochzubringen, das vor mehr als 30 Jahren in Gijón stattgefunden hat. Die USA hatten mit dem Spiel absolut gar nichts zu tun. Es wird keine Wiederholung geben. Beide Mannschaften wollen, egal mit welchem Ergebnis, ins Achtelfinale - und werden dies auch schaffen.
Und wie sehr zittern Sie vor Thomas Müller, den Sie ja einst auch bei Bayern München trainiert haben?
Klinsmann: In aller erste Linie ist es ein riesen Spaß, Thomas' Karriere und seinen Werdegang zu verfolgen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich ihn in der Champions-League gegen Sporting Lissabon reingebracht habe und er gleich ein Tor gemacht hat - so selbstverständlich, als wenn das kein Problem wäre. Jetzt das Turnier mit einem Hattrick zu starten, ist Klasse, Hut ab. Es wäre natürlich schön, wenn er sich am Donnerstag eine kleine Auszeit genehmigt. Aber das wird er natürlich nicht tun.