Löw auf einer Stufe mit „Kaiser“ Franz
Rio de Janeiro (dpa) - Jetzt steht er ganz oben! Auf einer Stufe mit Sepp Herberger, Helmut Schön und „Kaiser“ Franz Beckenbauer. Nach 24 Jahren Abstinenz hat Joachim Löw die deutsche Nationalmannschaft wieder auf den WM-Thron geleitet.
Als erster Trainer überhaupt eroberte er mit einem europäischen Team den WM-Titel auf dem amerikanischen Kontinent. „Das ist eine Sache für die Ewigkeit. Es waren zehn Jahre harte Arbeit. Wir sind in dieser Zeit immer besser geworden. Das war einfach fällig“, sagte Löw nach dem Triumph.
Der 54 Jahre alte Löw darf sich nun als vierter DFB-Chefcoach Weltmeistertrainer nennen. Es ist eine Geschichte, die so wohl nur der Fußball schreiben kann. Ein DFB-Trainerlehrgang hatte 2000 an der Sportschule Hennef Weltmeister Jürgen Klinsmann mit dem Zweit- und Erstligakicker Löw zusammengeführt. Als Klinsmann 2004 das marode deutsche Nationalteam als Chef übernahm, holte er Löw in seinen engsten Stab. „Mit ihm hat die Arbeit begonnen“, erinnerte Löw im Moment des Erfolges an die Anfänge.
Gemeinsam krempelten sie die wichtigste deutsche Fußballmannschaft und gleich auch noch das komplette Umfeld um. Und sie inszenierten das WM-Sommermärchen 2006. Als Klinsmann danach Schluss machte, schob er seinen Assistenten und Freund Löw in die erste Reihe.
In acht Jahren hat Chef Löw nicht nur Klinsmanns Erbe fortgesetzt. Er hat dem Spiel der DFB-Elf einen neuen, modernen, zeitweise sogar spektakulären Anstrich gegeben. Zweiter bei der EM 2008, Dritter bei der WM 2010, Dritter auch bei der EURO vor zwei Jahren in Polen und der Ukraine - Deutschland mischte kontinuierlich in der Spitze mit.
Den letzten Schritt, die Krönung, mussten sich Löw und die Generation um Lahm, Schweinsteiger, Mertesacker, Klose und Podolski hart und zäh erkämpfen. Mit dem 1:0 nach Verlängerung am Sonntag im Endspiel in Rio de Janeiro gegen den WM-Dauerrivalen Argentinien gelang endlich der große Wurf. „Die Spieler sind über ihre Grenzen gegangen und haben so viel gegeben wie noch nie, um das mitzunehmen, was sie noch nie hatten“, sagte Löw.
Seine vierte Titelmission hat er noch fokussierter und geradliniger verfolgt. „Joachim Löw hat gelernt, er hat sich schon entwickelt“, beschrieb Per Mertesacker die Entwicklung. Der Abwehrmann war von Beginn an dabei in der Ära Klinsmann und Löw. „Als Co-Trainer hat er schon viel taktisch gearbeitet. Er ist ein sehr motivierender, aufbauender Trainer. Bis zur Ansprache macht er jetzt alles komplett“, verriet der Wahl-Engländer Mertesacker einige Wandlungen. „Für mich ist er ein fantastischer Trainer“, bemerkte Stürmer-Oldie Miroslav Klose, der zehn Jahre mit Löw gearbeitet hat.
Nach der Nominierung seines WM-Kaders Anfang Mai brauchte Löw einige Zeit, um die nötige Mischung aus Anspannung und Lockerheit zu finden. Die Vorbereitung warf viele Fragezeichen auf, von der Fitness Sami Khediras über die Rolle des zentralen Stürmers, die Position von Kapitän Philipp Lahm bis hin zur Besetzung der Abwehrreihe. Vor allem das Achtelfinale gegen Algerien wurde für Löw zum Knackpunkt des Turniers. Torwart-Coach Andreas Köpke berichtete von „kontroversen Diskussionen“ auch im Trainerstab.
„Für uns geht es immer darum, vor jedem Spiel darüber zu entscheiden, was in dieser Situation, zu diesem Zeitpunkt, das Beste für die Mannschaft ist. Wir Trainer stehen Tag für Tag mit den Spielern auf dem Platz, wir sprechen mit ihnen, wir beobachten sie. Dann treffen wir die Entscheidungen“, sagte Löw.
Er beorderte Lahm zurück nach rechts hinten. Khedira und Bastian Schweinsteiger kamen tatsächlich immer besser in Tritt und dann - bis zum Endspiel-Aus für Khedira - auch wieder zusammen zum Einsatz. Manuel Neuer zeigte nach seiner Schulterverletzung ein Top-Turnier. Dazu sorgte eine Konzentration auf Standardsituationen für eine neue Stärke in Löws Team. Und dann saß auch die letzte Entscheidung des Turniers: Zwei Minuten vor Ende der regulären Spielzeit brachte er Mario Götze für Klose - den Goldjungen! „Ich hatte das Gefühl, dass er etwas Entscheidendes machen kann und das Ding zu Ende bringt“, berichtete Löw anschließend.
Von einem besonderen Druck, 18 Jahre nach dem EM-Sieg in England endlich wieder einen Titel nach Deutschland holen zu müssen, wollte Löw lange nichts wissen. „Wenn man sagt, Deutschland ist jetzt mal wieder dran, damit kann ich nichts anfangen“, bemerkte der im Turnier immer selbstbewusster und entschlossener auftretende Bundestrainer.
Doch ein Titel ist auch für ihn „etwas Besonderes“, wie er zugab. „Für mich ist das auch ein toller Erfolg“, meinte er. Löw setzte mehr auf defensive Kompaktheit, Sicherheit und Organisation, wie es auch viele seiner Führungsspieler eingefordert hatten. „Mit einem Schnitt von zwei Gegentreffern wirst du nicht Weltmeister“, hatte der starke Dortmunder Mats Hummels betont.
„Irgendwie haben wir es uns erarbeitet, dass wir immer drangeblieben sind, dass wir eine gute Vorbereitung hatten, dass wir viel investiert haben. Und dass wir natürlich auch sehr gute Spieler haben“, sagte der zehnte Bundestrainer der DFB-Historie. Als sechster steht er nun für einen Titelgewinn. Verbands-Präsident Wolfgang Niersbach sieht in Löw eine Ideallösung auch für die kommenden Jahre. „Er wird auch in zwei Jahren Trainer sein“, erklärte Niersbach. Er hatte den Kontrakt mit ihm schon lange vor dem WM-Titel bis 2016 verlängert. „Ich werde nach dem Spiel mal mit unserem Präsidenten reden. Vielleicht schmeißt er mich ja auch raus, kann ja alles passieren“, hatte Löw vor dem Endspiel amüsiert erklärt.
Für Niersbach ist der Triumph von Rio eine Bestätigung, dass „es nicht stimmt“, dass Deutschland mit Löw „der Sprung auf das oberste Podest nicht möglich“ sei. Gerade nach dem schwierigen Achtelfinale habe Löw auf alle Kritik professionell, entspannt und souverän reagiert. „Das überträgt sich sofort auf die Mannschaft“, sagte Niersbach. Am Sonntag im Maracanã wurde das noch einmal deutlich.