Löw beruhigt: Kein Lazarett - WM-Sorgenkinder dabei

St. Leonhard (dpa) - Joachim Löw besänftigt die Fußball-Nation jenseits der Alpen. „Ich habe Berichte gelesen, dass wir in einem Lazarett sind. Dem ist nicht so“, erklärte der Chef der deutschen Titelmission bei seiner ersten großen Rede in Südtirol.

Löw beruhigt: Kein Lazarett - WM-Sorgenkinder dabei
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Und der Bundestrainer versprach den Fans in Deutschland zugleich, dass die noch angeschlagenen Führungsspieler Philipp Lahm, Manuel Neuer, Bastian Schweinsteiger und auch der nach einem Kreuzbandriss zurückgekehrte Sami Khedira bis zum WM-Start am 16. Juni in Salvador gegen Portugal fit sein würden. „Wir werden mit einer wettbewerbsfähigen und guten Mannschaft nach Brasilien reisen“, kündigte Löw kämpferisch an.

Einen prüfenden Blick der Öffentlichkeit auf die angeschlagenen und gesunden Akteure ließ er vor seinem Auftritt im DFB-Medienzelt in St. Leonhard allerdings nicht zu - gearbeitet wird weiterhin meist im Verborgenen. „Der Großteil der Spieler ist absolut belastbar. Die Spieler auf dem Platz arbeiten sehr gut. Deshalb bin ich mit dem Stand absolut zufrieden“, berichtete Löw und betonte mit ernstem Blick: „Wir haben Spieler, die auf die WM brennen.“

Demonstrativ stellte er den Bayern-Stars Lahm, Neuer und Schweinsteiger sowie Champions-League-Sieger Khedira frühzeitig die Tickets nach Brasilien aus. Dabei steht bei Lahm und Co. weiter nicht fest, wenn sie von Rehabilitations- und Aufbautraining wieder auf richtige Teamarbeit umschalten können. „Ich sehe es nicht als ganz großes Problem, wenn sie nicht mit der Mannschaft trainieren“, beschwichtigte der Bundestrainer.

Nach Angaben der DFB-Mediziner seien die Blessuren von Lahm (Fuß), Neuer (Schulter) und Schweinsteiger (Knie) „kein dauerhaftes, sondern ein kurzfristiges Problem“, begründete Löw. Lahm soll wie der Dortmunder Marcel Schmelzer (Knieprellung) wieder das Lauftraining aufnehmen. „Dann wird man sehen. Wir müssen von Tag zu Tag entscheiden, müssen auch da die Ruhe bewahren. Wir dürfen das nicht forcieren“, mahnte Löw. „Rund um die Uhr“ würde die medizinische Abteilung arbeiten.

Auch Sorgenkind Schweinsteiger wollte eine getrübte Vorfreude auf das am 12. Juni beginnende große Fußballfest in Brasilien nicht bestätigen. „Es liegt in der Natur des Deutschen, dass er das Kritische und das Negative sieht statt das Positive“, sagte der Münchner. Bayern-Kollege Thomas Müller wundert sich über die öffentlichen Erwartungen, die anders als im Vorjahr nach dem deutschen Champions-League-Finale nun gering seien: „Jetzt ist es eher so, dass man Angst hat, was wird das überhaupt in Brasilien. Kriegen wir überhaupt elf Spieler aufs Feld. Das ist ja auch Käse.“

Die Stimmung und die Wortwahl des 101-maligen Nationalspielers Schweinsteiger in diesen Tagen belegen auch eine Skepsis, ob der 29-Jährige persönlich und das ganze Team tatsächlich in den noch verbleibenden drei Wochen die düsteren Prognosen vertreiben können. Probleme mit der Patellasehne seien nicht ohne, gab er zu. Und trotz eines „natürlich großen Ziels“ sollte man nur in Etappen denken, mahnte Schweinsteiger: „Die Gruppenphase wird schwer genug für uns. Wir müssen das erste Ziel haben, diese zu überstehen.“

Löws Pläne sind ganz auf die schwere Auftaktpartie gegen Weltfußballer Cristiano Ronaldo und Co. ausgerichtet: „Unabhängig von der personellen Situation will man gegen Portugal gewinnen.“ Zwar sagte der Freiburger: „Am Ende ist es schon wichtig, dass man auf Spieler zählt, die hundert Prozent fit sind.“ Seine eigenen Fitness-Kriterien für die WM hat der Bundestrainer aber angesichts der vielen Ungewissheiten in Südtirol noch mehr aufgeweicht.

Mindestens „zwei, drei Tage“ vor dem Ernstfall sollten die Spieler ein Mannschaftstraining absolviert haben, legte Löw jetzt als Einsatzprämisse fest. In der Vergangenheit hatte er noch von einem regelmäßigen Spielrhythmus in der Saison-Rückrunde, später von einer ungestörten WM-Vorbereitung als Voraussetzung gesprochen. Sein neues Hauptkriterium für die WM lautet nun: „Wir brauchen widerstandsfähige, willensstarke Spieler.“

Drei Hauptaufgaben formulierte Löw für die verbleibenden Tage im Passeiertal, das beim Geheimtraining am Montag wieder von Regenwolken verhangen war. Das Offensivspiel im letzten Drittel, die Kompaktheit in der Defensive und das Zweikampfverhalten sollen auch in zwei weiteren Trainingsspielen gegen die U 20-Auswahl des DFB geschult werden.

Nach dem ersten Übungsakt bekam Newcomer Christoph Kramer ein Sonderlob von Löw. Dem Gladbacher Mittelfeldspieler gab der Bundestrainer „gute Chancen“ für die Aufnahme in den endgültigen WM-Kader. Denn für die Position in der Defensivzentrale legte Löw schon jetzt klar fest: Der Dortmunder Innenverteidiger Mats Hummels wird nicht ins Mittelfeld vorgezogen.