Löw: "Dieses Glücksgefühl wird für alle Ewigkeit bleiben"
Rio de Janeiro (dpa) - Fragen an Bundestrainer Joachim Löw nach dem Gewinn des Weltmeistertitels im Endspiel gegen Argentinien.
Stand das Spiel ein Stück weit auch für die ganze Geschichte bis zu diesem Triumph, den Widerständen, die es zu überwinden gab?
Joachim Löw: Wir waren jetzt, ich weiß nicht, 55 Tage zusammen. Wir haben das ganze Projekt natürlich vor zehn Jahren gestartet. Das ist jetzt ein Produkt von vielen Jahren, beginnend mit Jürgen Klinsmann damals. Wir haben das fortgesetzt. Ich glaube, unsere große Stärke war, dass wir uns in allen diesen Jahren kontinuierlich gesteigert haben, auch wenn wir nicht den letzten Schritt gemacht haben. Wir wussten genau, dass Champions irgendwann diesen letzten Schritt machen, die Sache zu Ende bringen. Wir haben immer daran geglaubt.
Was war entscheidend für diesen letzten Schritt jetzt?
Löw: Wir haben wirklich hart dafür gearbeitet. Wenn es überhaupt irgendjemand verdient hat, dann diese Mannschaft mit Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Per Mertesacker, Lukas Podolski, Miroslav Klose. Sie waren zu meiner Zeit die ganzen zehn Jahre dabei. Wir waren das eine oder andere Mal enttäuscht, aber heute gab es nur einen verdienten Sieger, diese Mannschaft. Wir haben, glaube ich, in diesem Turnier die beste Leistung gezeigt über sieben Spiele. Von daher ist es ein besonderes Glücksgefühl. Die Mannschaft hat in diesen Wochen einen unglaublichen Teamgeist entwickelt mit einem großartigen Können, das sie hat, und einer unglaublichen Willenskraft. Deswegen haben wir es auch geschafft. Wir können stolz sein auf diese Mannschaft, die ersten Europäer, die hier in Südamerika, in Rio, in Brasilien, diesem Fußballland schlechthin, den Titel gewinnen. Das macht uns natürlich alle stolz.
Sie haben die Willenskraft angesprochen. War Bastian Schweinsteiger das Sinnbild dafür?
Löw: Alle Spieler in dieser Mannschaft haben alles gegeben, angeführt natürlich von einem überragenden Bastian Schweinsteiger und einem überragenden Philipp Lahm, die ein unglaubliches Laufpensum geleistet haben. Wir haben vor dem Spiel gesagt: Ihr müsst heute so viel geben wie noch nie in eurer Karriere. Dann werdet ihr das erreichen, was ihr noch nie hattet, nämlich diesen Pokal mit nach Hause zu nehmen.
Wie geht es Ihnen jetzt? Werden Sie erst einmal in ein Loch fallen? Werden Sie sich beim Feiern einfach mal treiben lassen?
Löw: Heute Nacht werde ich nicht unbedingt in ein Loch fallen. Und morgen wahrscheinlich auch nicht. Denn da fahren wir nach Berlin - und da wollten wir hin. Es ist logisch, bei so vielen Emotionen, bei so viel Druck, der bei einem Turnier auf dieser Mannschaft und uns allen lastet, wird es natürlich einen emotionalen Abfall geben. Aber ich glaube, dieses tiefe Glücksgefühl wird für alle Ewigkeit bleiben.
Das Spiel haben zwei Einwechselspieler entschieden, André Schürrle leistete die Vorarbeit, Mario Götze erzielte das Tor. Wie wichtig war die Bank?
Löw: Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir hier nicht mit elf Spielern über die Runden kommen, dass wir eine erste 14 haben, dass alle in höchster Alarmbereitschaft sein müssen. Heute war das auch wichtig. Man hat gemerkt, dass Argentinien immer müder geworden ist. Da war es gut, dass wir auf den Außenpositionen Spieler wie Müller, wie Schürrle haben, die immer wieder in die Tiefe gehen, die den Gegner vor Probleme stellen. Und Götze ist ein Spieler, der kann alles spielen, der ist ein Wunderkind. Er hat immense Möglichkeiten und überragende technische Fähigkeiten. Er ist so raffiniert. Ich wusste, er kann immer ein Spiel entscheiden, wenn es auf der Kippe steht. Das Tor war wirklich großartig gemacht.
Was haben Sie genau zu Götze bei der Einwechslung gesagt?
Löw: Ich habe zu Mario Götze gesagt, zeige der ganzen Welt, dass du besser bist als Messi und dass du dieses Spiel entscheiden kannst. Du hast alle Möglichkeiten, das zu tun. Ich glaube, dass habe ich ihm in diesem Moment gesagt. Ich hatte bei ihm einfach ein gutes Gefühl, weil er einfach zu allem fähig.
Welche Beziehung haben Sie zu den Brasilianern aufgebaut?
Löw: Man muss sich bedanken für diese großartige WM, die hier stattgefunden hat. Die Leute in der Umgebung von unserem Camp haben uns wahnsinnig herzlich empfangen. Es war von Anfang an eine große Energie und Sympathie vorhanden. Ein Höhepunkt in meiner Laufbahn war nach dem Brasilien-Spiel, als wir den Gastgeber mit 7:1 geschlagen hatten und die Enttäuschung bei dieser Nation immens war. Da sind wir zum Flughafen gefahren, und es standen tausende Brasilianer auf der Straße und haben der Mannschaft Beifall geklatscht. Das war etwas Faszinierendes. Es war eine tolle WM. Wir repräsentieren 80 Millionen Deutsche und ein ganzes Land auf einem anderen Kontinent, da wollen wir auch eine gewisse Sympathie ausstrahlen. Herzlichen Dank an Brasilien.
Sie übernehmen den Stab von Spanien. Haben Sie sich auch an spanischen Einflüssen orientiert, etwa durch Pep Guardiola beim FC Bayern?
Löw: Wir haben seit vielen Jahren an unserem eigenen Spielstil gearbeitet und uns unabhängig von gewissen Dingen gemacht, die bei einzelnen Vereinen passiert sind. Natürlich gibt es Trainer wie Jürgen Klopp, Pep Guardiola oder Carlo Ancelotti bei Real Madrid, die mit diesen Spielern das ganze Jahr über gearbeitet und sie natürlich auch verbessert haben. Bayern München hat auch unter Jupp Heynckes die großen Titel gewonnen, das hat den Spielern viel Selbstbewusstsein und den Glauben gegeben, dass sie es schaffen können. Uns wird dieser Titel für die Zukunft einen Schub geben in unserem Land. Wir haben noch Spieler, die größtenteils sehr jung sind. Wir haben nicht viele Spieler, die die 30 überschritten haben. Bei Miroslav Klose muss man mal sehen. Ihm ist ja alles zuzutrauen, auch, dass er nochmal vier Jahre weiterspielt. Wir haben Götze, Özil, Marco Reus, der nicht dabei war, Gündogan, Khedira, Schürrle, Kroos, das sind alles junge Spieler. Die können in ihrer Karriere noch Einiges bewegen.
Was bedeutete die späte Einwechslung von Per Mertesacker. Nur ein taktischer Wechsel, oder auch eine Geste?
Löw: In erster Linie war es eine Stabilisierung der Defensive. Wir hatten gesehen, dass Argentinien nach unserer Führung nicht mehr in der Lage war zu kombinieren, sondern lange Bälle schlägt. Da war ein kopfballstarker Spieler wichtig. Aber ich hätte nichts lieber getan, als ihn einzuwechseln. Er ist auch ein Sinnbild für das, was wir heute erreicht haben. Er ist ein Superprofi, der genauso wie Lukas Podolski in einer Phase, wo sie mal nicht gespielt haben, Großartiges geleistet hat für diese Mannschaft. Deswegen habe ich nichts lieber getan, als Per Mertesacker einzuwechseln, als Geste einfach. Das war schon super, dass er auf dem Platz stand.
Wie groß ist der Anteil der Bundesliga an dem Erfolg?
Löw: Die Bundesliga hat natürlich einen großen Anteil mit ihrer Ausbildung. Es war auch ganz wichtig nach 2010, als wir mit einer ganz jungen Mannschaft bei der WM in Südafrika waren, dass danach viele Trainer die jungen Spieler eingesetzt und ihnen vertraut haben. 2000 und 2004 lag der deutsche Fußball am Boden, damals sind wir jeweils in der Vorrunde der EM-Turniere ausgeschieden. Da wurden Maßnahmen ergriffen. Da wurde gesagt, wir müssen mehr in die Ausbildung investieren, wir müssen technisch bessere Spieler haben. Nur mit deutschen Tugenden hätte man keine Fortschritte gemacht. Wir haben Leistungszentrum in den Vereinen gemacht, dort wird großartige Arbeit geleistet. Klar, dafür muss ich mich immer bedanken. Der Titel ist auch ein Produkt der hervorragenden Ausbildung in Deutschland.