DFB-Team Löw peilt WM-Titel ohne Jungstar Sané an
Eppan (dpa) - Joachim Löw nippte erst nochmal an seinem Espresso, bevor er nach dieser kleinen Kunstpause sein Streich-Quartett für die Fußball-WM verkündete.
Dann nannte er die Namen von Torwart Bernd Leno, Abwehrspieler Jonathan Tah und Angreifer Nils Petersen, die zwölf Tage zuvor auch schon als Wackelkandidaten ins Trainingslager der Nationalmannschaft nach Südtirol angereist waren. Als Nummer vier folgte schließlich die Überraschung: Leroy Sané!
Auch der 22 Jahre alte Jungstar von Manchester City musste aus dem Teamhotel in Eppan abreisen. Als kleinen Trost gab es auch für ihn von Löw die Zusicherung für eine DFB-Rückkehr in der kommenden Saison. „Leroy hat ein riesiges Talent, absolut“, äußerte Löw über den Ex-Schalker: „Er wird auch wieder dabei sein. Wir werden in Zukunft, ab September, verstärkt mit ihm arbeiten.“
Angeführt wird das endgültige 23-Mann-Aufgebot mit einem sieben Spieler starken Bayern-Block von Kapitän Manuel Neuer. Der 32 Jahre alte Torwart aus München konnte sich nach seinem Mittelfußbruch den Traum von seinem dritten WM-Turnier erfüllen: „Ich habe gewusst, dass ich es schaffen kann und werde. Ich bin fest überzeugt, dass ich den Belastungen standhalte. Ich will so viele Spiele machen wie möglich. Das Turnier wird hoffentlich sehr lang sein.“ Am liebsten wären Neuer natürlich sieben Partien - inklusive Finale. „Für mich ist jetzt das Allerwichtigste der Erfolg der Mannschaft“, sagte er.
„Es gibt schönere Tage im Leben eines Bundestrainers“, hatte kurz zuvor Löw erklärt, nachdem er jeden der vier Heimreisenden im Quartier persönlich vom WM-Aus unterrichtet hatte. Das Trainerteam habe zuvor intensiv diskutiert. Löw wählte einen Vergleich mit der Leichtathletik: „Die Entscheidung war wahnsinnig knapp. Bei einem 100-Meter-Lauf bei Olympia müsste man ein Zielfoto machen.“
Auf diesem lag der pfeilschnelle Sané in der Abteilung offensive Außenbahn nur auf dem fünften und letzten Platz. „Es war eine knappe Entscheidung zwischen Julian Brandt und Leroy Sané“, sagte Löw. Der 22 Jahre alte Leverkusener Brandt lag vorn. „Julian war beim Confed Cup gut, hat gute Fortschritte gemacht. Er hat auch im Training guten Einsatz gezeigt“, sagte Löw. Unumstritten war ein Trio. „Mit Marco Reus, Julian Draxler und Thomas Müller sind wir auf diesen Positionen gut besetzt“, bemerkte Löw.
Sané zu streichen, ist verständlich und unverständlich zugleich. Denn der Flügelstürmer ist unter Trainer Pep Guardiola im zweiten Jahr bei Manchester City durchgestartet (14 Tore, 19 Vorlagen). Aber im Nationalteam ist er bis heute nicht angekommen: 12 Länderspiele, null Tore. Auch beim 1:2 in Österreich war Sané eine Enttäuschung. Trotzdem habe es da „überhaupt keinen Vorwurf“ gegeben, sagte Löw.
Der Bundestrainer erläuterte, dass es ein Ausscheidungsrennen in jedem Teambereich gab: Tor, Abwehr, Mittelfeld, Angriff. „Der Kader muss ausgewogen sein. In jedem Mannschaftsteil haben wir einen Spieler mehr dabei gehabt, daher kann man nicht alles umdrehen.“
Das führte auch zum Aus des Freiburgers Petersen (29), der als Neuling die Leistungslücke zum Nummer-1-Angreifer Timo Werner (22) und dem turniererfahrenen Mario Gomez (32) in kurzer Zeit nicht schließen konnte. „Nils hat sich in den Tagen immer besser gezeigt. Man muss aber auch sagen, dass Mario in einer sehr guten Form ist, sehr abschlussstark, körperlich sehr präsent im Training. Wir haben vorn jetzt zwei Spieler. Drei oder mehr sind einfach nicht ideal.“
Löw versuchte, die aussortierten Spieler damit zu ermutigen, dass sie nach der WM neu angreifen könnten. Auch Petersen oder Tah würden zurückkommen. „Es ist bitter, die Jungs abreisen zu sehen“, sagte Kapitän Neuer. Im teaminternen Gruppenchat hätten Petersen und Co. aber trotz der großen persönlichen Enttäuschung sofort geschrieben, „dass sie uns in Russland die Daumen drücken und wir mit dem Pokal nach Hause kommen sollen“, berichtete Neuer.
Für Löw liegt der Fokus nun auf der Arbeit mit den 23 WM-Fahrern. „Ziel ist das erste Spiel gegen Mexiko. Bis dahin werden wir in einem sehr guten Zustand sein“, versprach der Chef am trainingsfreien Montag, den die Spieler im sommerlich warmen Südtirol zur Regeneration nutzen durften. „Man hat gegen Österreich gemerkt, dass die Mannschaft müde ist“, begründete der Bundestrainer die Maßnahme. Am Dienstag soll auch Jérôme Boateng ins Mannschaftstraining einsteigen. „Seine Verletzung ist völlig ausgeheilt“, berichtete Löw.
Auch bei Neuer gab es für die Trainer am Ende keine Zweifel mehr. „Er hat uns bestätigt, dass er sich hundertprozentig fit fühlt in allen Abläufen. Der Fuß macht keine Probleme. Er hat schon eine gute Form erreicht“, sagte Löw. Das Comeback-Spiel gegen Österreich sei für ihn persönlich „sehr wichtig“ gewesen, betonte Neuer, ebenso das „ehrliche Feedback der Mitspieler und Trainer“.
Mit seinem Leistungsstand vor seiner dritten WM als Deutschlands Nummer 1 sei er „aktuell sehr zufrieden“, sagte Neuer. Mit ihm gehen noch insgesamt neun Champions von Brasilien 2014 das Ziel Titelverteidigung an. „Natürlich müssen es auch die Weltmeister richten in Russland - aber auch die anderen“, sagte der Kapitän. Leno, Petersen, Sané und Tah zählen seit Montag nicht mehr dazu.