Nach der WM-Party der Oranje-Kater
Amsterdam (dpa) - Als die Sonne über den Deichen aufging, erwachten die Niederländer mit einem gigantischen WM-Kater. „Wieder nicht“ ist der Gedanke, der Millionen Fans hartnäckig im Kopf brummte.
Dreimal - 1974, 1978 und 2010 - wurde Oranje Vizeweltmeister. Nun endete der ewige Traum vom Titel bereits im Halbfinale. „Das Märchen ist zu Ende, wir sind draußen“, klagte „De Telegraaf“. Nach einem quälend langen Spiel und dem Elfmeterdrama gegen Lionel Messi reagierten die Niederländer auf Facebook und Twitter: „Aus der Traum“.
Die große Oranje-Euphorie fiel in der Nacht zusammen wie ein Soufflé, das zu früh aus dem Ofen kommt. Zehntausende verließen schweigsam und zutiefst niedergeschlagen die großen Oranje-Partys auf Plätzen und an Grachten von Groningen bis Maastricht. In kürzester Zeit leerten sich Straßen und Kneipen. Menschen stiegen stumm aufs Rad, in die Metro oder ins Auto. Auf einmal sahen die orangenfarbenen Plastikhühnchen auf ihren Köpfen nur noch tragisch aus, hingen die Oranje-Flaggen müde von Hausgiebeln und war die Schminke auf den Gesichtern vom Regen und vereinzelten Träne verwischt.
„Wir waren so nah dran“, stöhnte ein junger Mann im Amsterdamer Club Desmet. Ein paar hundert Fans hatten 120 Minuten mitgefiebert und gelitten. „Wenn zumindest irgendeiner mal ein Tor schießen würde“, riefen zwei blonde junge Frauen genervt, als es nach 90 Minuten noch immer 0:0 stand. Nach dem letzten Elfmeter hatte dann keiner mehr Lust auf ein „biertje“.
Das Oranje-Fieber hatte bei dieser WM einen neuen Höhepunkt erreicht. Mehr als neun Millionen der rund 17 Millionen Einwohner sahen das Spiel zu Hause im Fernsehen. Das gab es noch nie zuvor. Hinzu kamen noch Zehntausende beim Public Viewing. Supermärkte machten Rekordumsätze. Über 50 Millionen Euro hatten die Niederländer allein in den letzten drei Wochen für orangefarbene Cremeschnitten, „Hup Holland Hup-Chips“, Minikleidchen oder „Jubel-Jogginganzüge“ ausgegeben - die lebensnotwendigen Utensilien für jeden Fan.
Am Tag danach strömten die Tipps gegen den Kater. „So überlebst du diesen Tag“ munterte die Zeitung nrc.next ihre Leser auf. Schadenfreude sei eine gute Therapie: „Schau dir Facebook-Filme mit verletzten argentinischen Spielern an. Du musst lachen, du genießt, du fühlst dich besser.“ Nützlich ist auch der Tipp, den Verlust zu relativieren: „Such im Internet die Aufgaben des letzten Matheabiturs und denk: Dass muss ich nie wieder machen.“
Tiefe Trauer herrscht aber nicht im Land. Die große Mehrheit der Niederländer ist stolz auf das Team um Bayern-Star Arjen Robben. „Spitzenleistung, Jungs“ und „Superstolz auf Oranje“ twitterten viele noch in der Nacht. Auch in Umfragen im Radio und Internet gaben die Holländer der Elftal und Bondscoach Louis van Gaal Bestnoten: „Ein Wahnsinns-Einsatz“ oder „Keiner dachte, dass wir soweit kommen würden“, hieß es da.
Frust herrscht aber, dass erneut eine Chance verpasst wurde, Deutschland zu besiegen. Das verlorene WM-Finale von 1974 ist für viele noch immer ein Trauma. „Es wäre das Traumfinale gewesen“, klagte ein Sportkommentator im Fernsehen. Die jahrzehntelange erbitterte Feindschaft ist aber längst einer gut nachbarschaftlichen Rivalität gewichen. „Die Deutschen spielen super“, sagten auch viele Oranje-Fans, „fast schon wie Holland früher“. Und der Moderator des Morgenmagazins im niederländischen Radio bekannte sogar: „Am Sonntag bin ich für Deutschland.“