Scolaris Sorge: Brasiliens Mittelfeld „eine Krankheit“
Teresópolis (dpa) - Ausgerechnet im offensiven Mittelfeld, im Herzstück einer jeden Fußball-Mannschaft, krankt es bei Brasilien. Trainer Luiz Felipe Scolari hat keinen Didi, keinen Zico, keinen Falcão, keinen Sócrates und auch keinen Ronaldinho und Kaká mehr.
Immer offensichtlicher wird bei der Weltmeisterschaft dieses Dilemma der Seleção. Im Viertelfinale gegen Kolumbien am Freitag muss der WM-Gastgeber zudem seinen zentralen Abräumer Luiz Gustavo ersetzen - was es der Abteilung Attacke auch nicht einfacher macht.
Nachdem der Bundesliga-Profi vom VfL Wolfsburg wegen seiner Gelbsperre in Fortaleza fehlt, wird Scolari möglicherweise Paulinho wieder in die Startelf stellen. Der Profi von Tottenham Hotspur saß die letzten eineinhalb Spiele draußen, nachdem er sich durch die Vorrunde geschleppt hatte. Fernandinho (Manchester City) konnte den Brasilianern im Achtelfinal-Krimi gegen Chile allerdings auch nicht die nötigen Impulse nach vorne geben.
„Wir haben zwei ausgezeichnete Innenverteidiger - und Neymar“, analysierte Tostão, der Weltmeister von 1970, in der „Folha de São Paulo“ mit Blick auf das Duo David Luiz/Thiago Silva und den neuen Superstar der Brasilianer. Dass die beiden Spieler auf den Außenbahnen ebenfalls mächtig mit sich selbst zu kämpfen haben, erschwert die Situation noch: Kraftpaket Hulk (Zenit St. Petersburg) gab zwar gegen Chile mächtig Gas, vergab aber eine Riesenchance und patzte beim Gegentor. Und der technisch so beschlagene Oscar (FC Chelsea) ist nach seinem starken Auftaktspiel gegen Kroatien abgetaucht.
Das Mittelfeld des Rekord-Weltmeisters ist nach Meinung des brasilianischen ESPN-Kommentators Paulo Vinícius Coelho „eine Krankheit“. Ex-Nationalspieler Careca, der bei der WM 1986 und 1990 sieben Tore erzielte, kritisierte im Trainingscamp „Granja Comary“ in Teresópolis: „Unglücklicherweise steht die Mannschaft im Viertelfinale, ohne bisher guten Fußball gespielt zu haben. Das Mittelfeld kommt nur sehr langsam in Bewegung. Oscar und Paulinho haben bisher nicht ihre beste Form gezeigt, Hulk hat Probleme in der Vorwärtsbewegung und Fred hängt vorne isoliert zwischen den Innenverteidigern. Er bekommt einfach zu wenig Bälle.“
Doch Scolari hat vor der Heim-WM keinen brasilianischen Bastian Schweinsteiger oder Toni Kroos gefunden, auch niemanden wie den genialen Kolumbianer James Rodríguez. Der frühere „Weltfußballer“ Ronaldinho ist dieser Tage mit seinem Club Atlético Mineiro auf China-Tour, Kaká mit seinem Vereinswechsel vom AC Mailand zum FC São Paulo beschäftigt. Die beiden Weltmeister von 2002 hatten ihre große Chance bei der WM 2006 und 2010 - und scheiterten mit der Seleção jeweils im Viertelfinale. Aber auch sie hätten Scolari kaum weitergeholfen bei seiner Suche nach einem Denker und Lenker neben oder hinter Neymar.