Stammelf von Sturkopf Scolari wackelt: „Nicht mehr so viele Fehler“
Teresópolis (dpa) - Luiz Felipe Scolari steht vor der größten Herausforderung seiner zweiten Amtszeit mit Brasilien: Ein Achtelfinal-Aus am Samstag gegen Chile wäre ein Alptraum für den WM-Gastgeber.
Gegen den südamerikanischen Rivalen muss sich der Weltmeistercoach von 2002 etwas einfallen lassen: Denn seine Stammelf vom Confed-Cup-Sieg 2013, an der Sturkopf Scolari bislang festhielt und mit der er notfalls „durch die Hölle“ gehen wollte, wackelt.
„Er ist ein sehr kompletter Trainer, mit sehr klaren Vorstellungen vom Fußball, aber vor allem ist er ein großartiger Mannschaftsbetreuer“, sagt Brasiliens Torjäger-Idol Ronaldo über Scolari. Der 65-jährige Chefcoach sieht sein Team als „Familie“, wie auch seine Profis erklären. Und er hat aus einer nicht unbedingt herausragenden Generation eine geschlossene Gruppe geformt, in der Egozentriker wie Ronaldinho keinen Platz mehr haben.
„Beim Confed-Cup hat es Felipão geschafft, der Mannschaft eine Identität zu geben, ein Gesicht, ein taktisches System“, lobte Torhüter Júlio Cesar. Das könnte sich nun aber verändern. „Wir müssen uns Chile anschauen und die beste Aufstellung dafür finden“, sagte Scolari vielsagend.
Zu berechenbar ist vor allem seine Offensive, die da heißt: Neymar, Neymar, Neymar, Neymar! Mit vier Treffern führt der neue Superstar vom FC Barcelona gemeinsam mit seinem argentinischen Vereinskollegen Lionel Messi die WM-Torschützenliste an. Nicht auszumalen, wie die Seleção ohne die Durchschlagskraft des 22-Jährigen am Traum von der „Hexacampeão“ - dem sechsten WM-Titel - festhalten will. Die Chilenen werden Neymar auf die Zauberfüße steigen, zudem ist der Stürmer mit einer Gelben Karte vorbelastet und würde bei einer weiteren Verwarnung im Viertelfinale gegen Uruguay oder Kolumbien fehlen.
Da der Rest des Angriffs bisher nur sporadisch überzeugte, könnte es am Samstag in Belo Horizonte Hulk treffen, der mit viel Wucht, aber ohne Wirkung spielt - und vor allem Paulinho: Der Mittelfeldspieler von Tottenham Hotspur schleppt sich bisher durchs Turnier, wurde beim 4:1 gegen Kamerun zur Pause ausgewechselt und durch Fernandinho ausgetauscht, der prompt ein Tor schoss. Unumstritten ist aber weiterhin Paulinhos Nebenmann Luiz Gustavo vom VfL Wolfsburg, den Scolari als „einer meiner wichtigsten Spieler“ bezeichnete.
Sorgen dürfte „Felipão“ auch die Hintermannschaft bereiten - trotz der zusammen fast 100 Millione Euro teuren Innenverteidiger David Luiz und Thiago Silva. „Die Abwehr ist gut, aber nicht so gut, wie sie glaubt“, kritisierte das Fußball-Fachblatt „Lance“ und verwies auf die Schwächen von Marcelo und Dani Alves auf den Außenpositionen. Das Duo von Real Madrid und vom FC Barcelona prescht zwar gerne nach vorne, findet aber manchmal den Rückwärtsgang nicht schnell genug.
Alves sandte schon mal einen Hilferuf, weil er sich mit Chiles Angriffscrack Alexis Sánchez auseinandersetzen muss, zugleich sein Clubkollege in Barcelona: „Da brauchen wir Hilfe, weil er einen ähnlichen Stil wie Neymar hat.“
Scolari weiß natürlich, dass die WM in der K.o.-Runde für den Rekord-Weltmeister erst richtig anfängt. „Jetzt dürfen wir uns keinen Fehltritt mehr erlauben, dem Gegner nicht mehr so viele Chancen lassen, weil jetzt die Spiele kommen, die durch ein Tor entschieden werden. Und wir dürfen nicht mehr so viele Fehler machen. Das muss sich ändern, das wollen wir versuchen, besser zu machen.“
Als zweiter Trainer nach dem Italiener Vittorio Pozzo kann der Sohn italienischer Einwanderer gleich zweimal Weltmeister mit einem Land werden. Bis dahin muss die Seleção aber noch zwei südamerikanische Rivalen aus dem Weg räumen, im Halbfinale möglicherweise Deutschland und im Endspiel am 13. Juli im Maracanã einen weiteren Kontrahenten.