Trotz Streiks: Brasiliens Präsidentin erwartet WM-Fest
São Paulo (dpa) - Tränengas, U-Bahnfahrer-Streik, Verkehrschaos und Protestankündigungen - die turbulenten Nachrichten aus der WM-Eröffnungsstadt São Paulo haben Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff gerade noch gefehlt.
Selbst positive Umfrageergebnisse und ein flammendes Plädoyer der Staatschefin konnten die Missstimmung in der Elf-Millionen-Metropole nicht vertreiben. Das Verkehrschaos in São Paulo, wo am Donnerstag das Auftaktpartie Brasilien gegen Kroatien angepfiffen wird, dämpft die WM-Vorfreude gewaltig.
Millionen Passagiere sind seit fünf Streiktagen in Mitleidenschaft gezogen und haben oft wenig Verständnis für den strategisch vor die WM gelegten Ausstand. An der U-Bahnstation Ana Rosa setzte die Polizei am Montagmorgen Tränengas und Gummigeschosse gegen etwa 100 Demonstranten ein. Eine Straße wurde durch brennenden Müll blockiert. Es gab rund ein Dutzend Festnahmen. Für zusätzlichen Zündstoff sorgte die angekündigte Entlassung von 60 Metro-Mitarbeitern wegen des Streiks. Doch es gab auch erste Signale für eine Kompromisslinie.
Anders als in vielen Stadtteilen in Rio war über Pfingsten von WM-Fieber in São Paulo nur wenig zu spüren. Die Straßen sind eher spärlich mit Wimpeln, Girlanden und Nationalflaggen dekoriert. Zudem wird in dieser Woche mit weiteren Protesten gerechnet. „Ich bin sicher, dass diese Copa (WM) ein großes Fest wird“, versicherte Rousseff trotzdem. Ihr Land werde „eine Veranstaltung der Freude, der Stärke und des Anstandes“ zeigen. Gleichzeitig bat sie ihre Landsleute, die Gäste „warmherzig, menschlich und mit Respekt“ zu empfangen. Viele der 600 000 erwarteten ausländischen WM-Fans sind bereits in Brasilien - und hoffen auf einen friedlichen Ablauf des Spektakels.
Dafür hat die Regierung schließlich ein gigantisches Sicherheitskonzept entwickelt. In allen zwölf Spielorten arbeiten Sondereinsatzzentralen, wo die Fäden zusammenlaufen und Einsatzkräfte koordiniert werden. Die Gesamtaktion kostet die Regierung satte 1,9 Milliarden Reais (628 Mio. Euro). 57 000 Soldaten sowie 100 000 Polizisten von Bund, Ländern und Kommunen und andere staatliche Sicherheitskräfte sind im Einsatz. Die Armee bietet schweres Material auf: Fregatten, Korvetten, Patrouillenboote, Radarflugzeuge und Helikopter. Die Polizei hält Spezialeinheiten bereit.
„Wir sind vorbereitet“, sagte Sportminister Aldo Rebelo am Montag bei der Eröffnung des offenen Medienzentrums in Rio de Janeiro, das direkt an der Copacabana liegt. Er warb bei den Medien für eine faire Beurteilung seines Landes, beteuert aber zugleich: „Wir wollen unsere Probleme nicht verstecken.“ Zwar blieben Massendemonstrationen, wie sie Brasilien 2013 erschütterten, bislang aus. Doch partiell gibt es immer wieder Protestaktionen, und die Bewegung obdachloser Arbeiter (MTST) kündigte weitere Demonstrationen an.
Sicherheitsexperten befürchten zudem, dass in dieser Woche der FIFA-Kongress am 10./11. Juni in São Paulo ein Grund für Proteste sein könnte. Doch auch ohne Demonstrationen und Streiks ist die allgemeine Sicherheitslage in dem größten südamerikanischen Land alles andere als optimal. Es sei unbestreitbar, dass einige brasilianische Städte besonders hohe Kriminalitätsraten aufwiesen, warnte die deutsche Botschaft in Brasília.
Betroffen seien auch die Städte Recife, Fortaleza, Rio, São Paulo und auch Salvador, wo die DFB-Elf am 16. Juni unter den Augen von Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr Auftaktspiel gegen Portugal bestreitet. „Taschendiebstähle, Überfälle und Gewaltverbrechen sind jedoch in ganz Brasilien weit verbreitet und nirgends auszuschließen“, geben Botschaft und Generalkonsulate in Brasilien auf ihrer WM-Internetseite den Fans mit auf den Weg.
Die Atmosphäre im Land des Rekordweltmeisters wird ohnehin eng mit dem Abschneiden der Seleção verknüpft sein, die diese Woche ihre Mission beginnt und den Traum vom sechsten WM-Titel wahr machen will. Das trauen 68 Prozent der Brasilianer ihrem Team auch zu, wie aus einer Umfrage des Datafolha-Institutes hervorgeht. Deutschland als Weltmeister halten immerhin noch fünf Prozent der Brasilianer für wahrscheinlich. Von Donnerstag 17.00 Uhr (22.00 Uhr MEZ) an ist die Zeit der Umfragen vorbei. Dann werden Fakten geliefert - auf dem Spielfeld.