Weinender „Pitbull“ Medel - Chile schwört Rache
Belo Horizonte (dpa) - Chiles Präsidentin Michelle Bachelet verschob nach dem bitteren Elfmeter-K.o. der „Roja“ gegen Gastgeber Brasilien sogar ihren Flug zu US-Präsident Barack Obama.
Die Staatschefin wollte den neuen Fußball-Helden der Heimat bei einem Empfang im Regierungspalast La Moneda in der Hauptstadt Santiago de Chile unbedingt persönlich für eine unvergessliche WM danken. Den Trost konnten Superstar Alexis Sánchez, „Pitbull“ Gary Medel und Co. nach der Nervenschlacht von Belo Horizonte auch gut gebrauchen.
„Die Spieler haben Fußballgeschichte geschrieben, weil sie unser Land in wunderbarer Weise repräsentiert haben“, lobte Trainer Jorge Sampaoli. „Wir haben unser Leben auf dem Platz gegeben“, meinte der ehemalige Bundesliga-Profi Arturo Vidal - und damit war nach dem 2:3 im Elfmeterschießen das Wesentliche gesagt.
Medel, der härteste Hund im chilenischen Team, weinte hemmungslos, und ausgerechnet der ebenso traurige Gonzalo Jara - einer der drei Fehlschützen im dramatischen Elfmeterschießen - nahm ihn tröstend in den Arm. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Sieger der Herzen ihren Stolz wiederfanden und sogar die Lust auf Rache formulierten. „Im Fußball gibt es Revanchen, und das hier ist noch nicht zu Ende“, kündigte Medel an. „Die Copa América wird unsere Rache werden“, betonte Kollege Marcelo Díaz. Im kommenden Jahr steigt die Südamerika-Meisterschaft in Chile, dann soll alles anders werden.
Bei der WM am Zuckerhut fehlten der Mannschaft aus der 16,3 Millionen-Einwohner-Nation am Ende nur Zentimeter. Ein Lattenschuss von Mauricio Pinilla beim Stand von 1:1 Sekunden vor dem Ende der Verlängerung verhinderte die Sensation. „Moralische Siege zählen nicht“, analysierte Sampaoli nach der emotionalen Elfmeterlotterie im Estádio Mineirão. „Höchststrafe“, titelte die Zeitung „El Mercurio“.
Vor allem Medel wurde am Samstag zum Sinnbild dieses denkwürdigen Achtelfinal-Duells auf den Tag genau vier Jahre nach der chilenischen 0:3-Achtelfinalpleite gegen Brasilien bei der WM in Südafrika. Damals war Medel gesperrt. Nicht einmal 24 Stunden vor der Neuauflage in Brasilien hatte Sampaoli noch gesagt: „Wenn das Spiel heute wäre, könnte er nicht spielen.“ Medel aber lief auf, der verletzte Oberschenkel war getapt. „Das war meine Entscheidung“ erklärte er. „Ich hätte auch mit einem Bein gespielt.“ Beim Elfmeterschießen war er schon nicht mehr dabei. Gepeinigt von Schmerzen musste er vorher raus.
Sampaoli konnte das Elfmeterschießen kaum mitansehen. Hypernervös tigerte er an der Außenlinie auf und ab. Als Sánchez, Torschütze zum 1:1-Ausgleich, und Pinilla an Brasiliens Keeper Júlio Cesar scheiterten, schien das Energiebündel der Verzweiflung nahe. Als der Elfmeter von Jara, dem fünften chilenischen Schützen, an den Innenposten klatschte, war das Aus besiegelt. Rückflug statt Viertelfinale. Sampaoli schoss auf dem Weg in die Kabine zwei Trinkflaschen aus dem Weg. Zum vierten Mal im vierten WM-Duell war bei einer K.o.-Runde Schluss gegen die Brasilianer. „Chile ist in einer markerschütternden Schlacht gefallen“, kommentierte der Verband via Twitter.
„Selbst wenn jeder gegen uns war im Stadion und wir alles gegeben haben, ist es sehr hart für uns“, sagte Sampaoli. „Wir hatten gedacht, es geht anders aus, und wir müssten nicht ins Elfmeterschießen“, betonte der gebürtige Argentinier, der mit seiner Mannschaft Weltmeister Spanien entthront und in der Gruppenphase hinter sich gelassen hatte.
Statt weiterer Tage im WM-Camp Toca da Raposa II nicht einmal acht Kilometer vom WM-Stadion in Belo Horizonte entfernt, musste Chile die Heimreise antreten. Für einen würdigen Empfang dort war gesorgt. „Brasilien konnte nur im Elfmeterschießen den Giganten Chile aus 'seiner' WM ausscheiden lassen“, schrieb das Nachrichtenportal „Emol“. „Wie ein Gigant“, kämpfte Chile auch für „Radio Cooperativa“.
„Heute sind wir traurig und verletzt“, meinte Sampaoli schließlich noch: „Aber nach einiger Zeit werden wir zu schätzen wissen, was wir gegen den Gastgeber der WM geleistet haben.“