WM-Achtelfinalist Wie Schwedens WM-Team in der Krise Halt fand
Stockholm (dpa) - Marcus Berg blieb in jener Nacht lange wach. Eigentlich sogar bis zum nächsten Morgen. Jimmy Durmaz, Martin Olsson, Isaac Kiese Thelin und eben der frühere Stürmer des Hamburger SV saßen zusammen und redeten.
„Wir haben darüber gesprochen, wie wir als nächstes reagieren sollen“, erzählte der schwedische Fußball-Nationalspieler, der mittlerweile in den Vereinigten Arabischen Emiraten bei Al-Ain unter Vertrag steht.
Es war die Nacht nach dem WM-Spiel gegen Deutschland. Durmaz hatte in der Nachspielzeit Timo Werner gefoult und so den Freistoß verursacht, den Toni Kroos zum 2:1 verwandelte. Die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw durfte wohl annehmen, der Sieg in letzter Sekunde sei ihre Initialzündung in die Endrunde. Er wurde es nicht.
Die Schweden hingegen entdeckten im Anschluss eine ganz besondere Form der Nähe und Einheit, nachdem Mittelfeldspieler Durmaz in sozialen Netzwerken massiv beleidigt und bedroht worden war. „Das macht uns alle nur noch stärker“, betonte Berg. Es ist eine überdurchschnittliche Geschlossenheit, die eine durchschnittlich besetzte Mannschaft sogar über das Achtelfinale hinaus am Dienstag (16.00 Uhr MESZ/ARD) gegen die Schweiz tragen könnte.
In jener Nacht, als Berg noch bis tief in die Nacht redete und grübelte, fanden die Skandinavier eine starke Antwort. Vor dem ersten Training nach der Niederlage gegen den Weltmeister versammelte sich die Mannschaft geschlossen hinter dem türkischstämmigen Durmaz und rief gemeinsam: „Fuck Racism“ („Scheiß Rassismus“).
Eine Stimme, eine Mannschaft. Dieser Ruf ist auch in der Heimat nicht ungehört geblieben. Natürlich nicht. Er rief ein beachtliches Echo hervor. Am vergangenen Freitag versammelten sich dann tausende Menschen in Stockholm, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen.
Im Kungsträdgården, einem großen in der Innenstadt der schwedischen Hauptstadt gelegenen Park, trugen Fans Trikots ihrer Mannschaft mit der Aufschrift #backadurmaz, was übersetzt „unterstützt Durmaz“ heißt. Der 29-Jährige zeigte sich ob des Zuspruchs „überwältigt“. Es gehe allerdings „nicht um mich, hier geht es um Schweden als Gesellschaft und darum, wie wir diese weiterführen“, sagte er. „Das ist mir passiert, doch es ist so viel mehr Leuten in Schweden passiert. Dass wir dieses hier zu etwas Positivem gedreht haben und es zum Thema gemacht haben, das ist groß.“
Durmaz' Vater Simon war bei der Kundgebung fast zu Tränen gerührt. „Die Liebe, die wir in den letzten Tagen bekommen haben und die die Menschen heute zeigen, ist fantastisch. Ich bin gerührt. Ich glaube, die Menschen zeigen Liebe nicht nur für Jimmy, sondern für künftige Generationen.“ Mit dieser Liebe schaffe es Schweden „weit — wir kommen im Achtelfinale weiter.“
Die Schweden sprachen in ihrer WM-Krise mit einer Stimme. Die Deutschen, deren Vorbereitung vom Wirbel um ein gemeinsames Foto von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan beeinträchtigt wurde, fanden keine starken Worte.
„Es gibt da etwas, das mich beeindruckt, das mir Gänsehaut verursacht und das ist, wenn man die Mannschaft vor sich selbst stellt“, sagte auf der Kundgebung Vize-Regierungschefin Isabella Lövin, nach eigenen Angaben keineswegs Fußballfan. „Wenn eine Gruppe Menschen alle in dieselbe Richtung steuert, sich gegenseitig unterstützt, dann könnte das Resultat um so viel größer ausfallen als das nackte Ergebnis.“