Wohnzimmer-Feeling im Union-Stadion zur WM
Berlin (dpa) - Gern schmückt sich der 1. FC Union Berlin mit dem Image, der etwas andere Verein zu sein. Einst unterstützten Fans ihren finanziell angeschlagenen Club, dann begründeten sie mit dem Weihnachtssingen eine viel beachtete Tradition.
Schließlich bauten Anhänger ihr marodes Stadion selbst um. Nun wird ihr „Wohnzimmer“ zu einer der ungewöhnlichsten Stätten für das gemeinsame WM-Erlebnis. Auf selbst mitgebrachten Sofas können Tausende die Spiele verfolgen.
Die verrückte Idee für das Public Viewing hatte Gerald Ponesky. 1988 hatte er Rockstar Bruce Springsteen zu seinem einzigen Konzert nach Ost-Berlin gelockt und eine Show für 160 000 Fans auf der Radrennbahn Weißensee organisiert. Beim „Sommermärchen 2006“ organisierte er die Fanmeile. Nun ist die Alte Försterei sein Projekt.
„Immer wieder hörte ich Unioner von 'ihrem Wohnzimmer' sprechen, wenn vom Stadion die Rede war. Irgendwann ist dann bei mir der Groschen gefallen“, erklärte der Veranstaltungsprofi vom Compact-Team Berlin. „Wohl fühlt man sich in seinem Wohnzimmer nur, wenn man auf der eigenen Couch sitzt. Also müssen die Fans diese mitbringen“, ergänzt Ponesky, gibt aber zu: „Aber ob diese verrückte Nummer funktioniert, war lange Zeit nicht klar. Noch heute fragen sich einige, wie das alles wirklich ablaufen soll.“
Doch die Resonanz war frappierend. 100 Anmeldungen gab es schon am ersten Tag. Inzwischen sind die bislang auf 750 Sofas begrenzten Anmeldungen für 3000 Anhänger erfolgt, doch Ponesky spricht nicht von „ausverkauft“: Beim Probesitzen auf 33 Sofas habe sich herausgestellt, dass sogar noch mehr Platz finden. „Die Generalprobe war der Hammer“, behauptete Ponesky.
„Aber wir haben auch gemerkt, welche Logistik erforderlich ist, wenn Hunderte mit ihren 'Wohnberechtigungsscheinen' ankommen und hier einziehen wollen“, meinte Ponesky stirnrunzelnd. Am 10. Juni beginnt der große Einzug, zum Eröffnungsspiel zwei Tage später soll das Wohnzimmer im Fußball-Stadion komplett bezogen sein.
Schon beim Probelauf waren die Fans kreativ. Vier Union-Anhänger trugen ihre Couch kilometerweit aus Schöneweide heran. Ein Zuschauer aus Görlitz fuhr mit einem Schwerlasttransporter vor. Andere wollten ihr Sofa mit dem Floß über die Wuhle transportieren.
Der Eintritt ist an allen WM-Tagen frei, zur Finanzierung der Veranstaltung tragen Sponsoren und Catering-Einnahmen bei. Aufgehängt wird die 700 Zoll große Leinwand auf der Gegengerade. Um den Bildschirm herum sollen 3500 Quadratmeter Wohnzimmer-Tapete für die passende Atmosphäre sorgen. Ein von Live-Bands und Hörfunk-Moderatoren gestaltetes Musik-Programm soll die Fans schon Stunden vor den Spielen in Stimmung bringen.
Neben den 3000 Fans auf den Sofas können auf der Haupttribüne und den Stehplatzrängen weitere rund 9000 Besucher die WM-Spiele im Union-Stadion genießen. Einen Vergleich zur Partymeile am Brandenburger Tor vor acht Jahren vermeidet Ponesky. „Die Meile 2006, das ist niemals zu übertreffen. Was wir jetzt machen, ist kleiner, feiner, vielleicht herzlicher. Es ist auf jeden Fall etwas Neues und Anderes“, sagte der Initiator.
Die Wohnzimmer-Aktion fand in Fan-Foren der „Eisernen“ aber nicht überall Zustimmung. Ultras protestierten gegen „unionfernen Event-Quatsch“ und kommerziell orientierten „Verrat am Fußball pur“. Im Info-Blatt „Waldseite“ wehrten sich Fans gegen ein von Werbeagenturen organisiertes „Event“. Ponesky hält dagegen: „Es ist ja kein Zwang. Entweder kommt man her und will diesen Spaß. Das ist unsere Art, mit solchen Themen umzugehen“.