Ausstellung Günter Netzer – Die Ikone von Mönchengladbach

Mönchengladbach · Günter Netzer wird in wenigen Tagen 75. In Mönchengladbach eröffnet er am Donnerstag eine Ausstellung. Über sich. Ein Besuch.

Der Künstler Markus Lüpertz (r.) hielt die Laudatio auf Günter Netzer. „Die schönste, die ich je über mich gehört habe“, sagt Netzer, er sei „beschämt“ und „glücklich“ zugleich.

Foto: Hans-Peter Reichartz

Als Elmar Kreuels den weiten Weg nach Zürich fuhr, um einige Perlen der Erinnerung vom Zürichsee an den Niederrhein zu schaffen, empfing ihn Elvira Netzer. Günter hatte einen Interviewtermin, „mein Mann empfängt sie später“, sagte Elvira, sie kümmerte sich und kramte das Wenige hervor aus dieser Karriere, was noch da war. Und also schleppte Kreuels, der sich bei Borussia Mönchengladbach um die Tradition kümmert, dieses abgeranzte Kunstwerk mit dem Geruch von tausenden Zigaretten und Alkohol allein vom fünften Stock aus diesem unscheinbaren Haus in Zürich, in dem Netzer heute lebt, nach unten in den Transporter.

Weissweiler sagte zur Diskothek: „Das ist das Ende“

Dieses Bild, „Das Kunstwerk Mensch“ von Walter Klinzing, hing Anfang der 1970er Jahre noch in Netzers legendärer Discothek „Lovers Lane“ über dem Tresen, es ist ein Netzer-Bild, darauf die 10, der zündende Kopf als Streichholz, alles Mittelpunkt von allem. Daneben die originale Einladung zur Eröffnung des Sündentempels am 15. April 1971 um 20 Uhr in der Waldhausener Straße 55 in Mönchengladbach, ein Raum ohne Fenster nach vorne. Wer rein wollte, musste klingeln - und besser kein Depp sein. Später feierten hier Elke Sommer und Udo Jürgens, und der Barkeeper strippte schon mal, am Niederrhein gab es weit und breit nichts Aufregenderes. „Als ich Trainer Hennes Weisweiler gesagt habe, dass ich eine Discothek eröffne, sagte er nur: Das ist das Ende“, erzählt Netzer. Und man stellt sich vor, wie der alte Weisweiler die Hand vor den Kopf schlägt und zum seriöseren Jupp Heynckes entschwindet.

Weisweiler und Netzer, das war eine zähe Liebe. Später sagt der Chef mal: „Abseits ist, wenn dat lange Arschloch zu spät abspielt.“ Und meine Netzer. Langweilig war es nie. Die Selbsteinwechslung des Mähnen-Mannes im Pokalfinale 1973 gegen Köln und sein entscheidendes Tor gehören dazu. Ein Spiel wie ein Film, so kitschig, dass er heute gar nicht mehr geschrieben würde.

Und jetzt hängt und steht und ist das alles nachgebildet im Museum, als wäre die gute Zeit nur noch zur Ansicht und die Realität so uncool, dass Fußballer nur noch Fußball spielen, weil sie anderes nicht zu interessieren hat und das Geld ja nun auch so reicht für ein Leben.

Berti Vogts: „Der King – so haben wir ihn genannt“

Jetzt prägt das alles die Ausstellung „Aus der Tiefe des Raumes“, die an diesem Donnerstagabend eröffnet wurde, in vier größeren Räumen im Fohlen-Museu, 100 Quadratmeter, Netzer im Mittelpunkt, weil Netzer ja ohnehin überall der Mittelpunkt ist. „Der King, so haben wir ihn genannt. King – das war er ja auch“, sagt Berti Vogts im Elf-Minüter-Film, der im Museumskino läuft, und dann endet der Streifen, und bei Vogts strahlen die Augen und bei den Zuschauern strahlen sie auch. Gänsehaut. Und Hans Meyer, der alte Ost-Trainer, der heute im Präsidium der Borussia sitzt, sagt, er habe Netzer schon seinerzeit bewundert, weil im Osten lange Haare verpönt waren. Netzer der Rebell. Für diese Sicht musste man nicht mal im Osten gelebt haben.

Ein Borussia-Mitarbeiter, der Texte für die Ausstellung, die bis zum 15. März zu sehen ist, und auch das dazugehörige Magazin geschrieben hat, erzählt vom Interview mit Netzer in Hamburg. Eine Ausstrahlung habe der, sagenhaft, sagt der Mitarbeiter, der ihn nie spielen, später aber noch managen sah beim HSV. Ein bisschen jedenfalls. Aber mindestens experteln neben Gerhard Delling in der ARD. „Dem kannst du stundenlang zuhören. Und dabei immer nett und höflich.“ Nur zu Delling war er das nicht immer, die kultivierte Abneigung der beiden Nur-hinter-der-Kamera-Freunde ist im Film festgehalten, als Netzer einen goldenen Anzug trägt, Delling sich darüber lustig macht und Netzer sagt: „Ich überstrahle sie. Wie eigentlich immer.“ Besser kann Netzer Netzer nicht treffen. Charmante Arroganz, ohne arrogant zu sein.

Netzer auf der Kö – das hätte auch was gehabt

Dabei wäre er ja eigentlich bei Fortuna Düsseldorf gelandet, sagt die Ausstellung, was eine ziemlich exklusive Nachricht ist, die spät kommt. Im Film sagt Netzer, der Vertrag mit Fortuna war schon ausgearbeitet, als er vom 1. FC Mönchengladbach in die große Fußballwelt wollte, aber irgendwie wurde daraus dann doch nichts, und so hatte wieder ein kleiner Moment alles verändert: Netzers Leben über zehn Jahre Gladbach, dann Real Madrid und bei Grashoppers Zürich als Aktiver, später als Manager beim HSV, als Geschäftsmann, der schon als Gladbach-Spieler einen Werbeverlag, eine Versicherungsagentur und ein Feinschmeckerrestaurant betrieb. „Der war eine Lichtgestalt, echt“, sagt Mitspieler Christian Kulik. Netzer selbst, der am 14. September 75 Jahre alt – und auch deshalb der erste ist, der mit einer Sonderausstellung geehrt wird, sagt, er habe Chancen im Leben einfach schnell erkannt und genutzt. Es seien immer genug da. Übrigens: Auch Fortunas Weg wäre ein anderer gewesen: Netzer auf der Kö – das hätte doch auch was gehabt.

Dass Günter Theodor Netzer in Mönchengladbach geboren wurde, gehört zum Stolz dieser Stadt. Gerade groß genug, um Netzer zehn Jahre lang bei aller Kunst zu halten, aber auch so klein, dass sein Stern richtig strahlen konnte, mit allem was er hatte: enge Lederjacke, lange Haare, schöne Frauen und Autos, alles wahr, aber irgendwie auch Legende – und heute Mythos. Dass er Kunst liebt, ist auch Teil der Ausstellung, die auch bislang unbekannte Fotos von ihm zeigt. Künstler aus Städten seiner verschiedenen Stationen haben sich inspirieren lassen von der Figur Netzer. „Künstler lieben Ikonen“, sagt Daniel Jansen, der das organisiert hat.

Am Abend, als Netzer mit Frau Elvira und Tochter Alana im Kreise von Ex-Mitspielern wie Jupp Heynckes, Berti Vogts, Horst Köppel, Hacki Wimmer oder Rainer Bonhof die Ausstellung eröffnet, hält der Künstler Markus Lüpertz eine sagenhafte Laudatio. „Die schönste, die ich je über mich gehört habe“, sagt Netzer, er sei „beschämt“ und „glücklich“ zugleich. Sich feiern zu lassen, das sei nicht sein Ding, alles dauert auch viel zu lange und immer nur: Netzer. „Aber wenn ich nachher nach Hause gehe, dann denke ich mir schon: Hui, das war ganz gut.“

Sprachs und ging mit den anderen durch die Ausstellung, für die er den Machern freie Hand gelassen hatte. Netzer lebt eher in der Gegenwart, denn in der Vergangenheit, ohne sie und das, was daraus entstanden ist, hinter sich zu lassen. „Zehn Jahre war ich bei Borussia. Dort fing alles an. Und eigentlich“, sagt er, „war es die schönste Zeit.“