Handball Bob Hannings große WM-Rechnung

Der schillernde Vize-Präsident des Deutschen Handball Bundes über die Zukunft der Nationalmannschaft, Umdenken in der Nachwuchsförderung und den Erstligisten Bergischer HC.

Bob Hanning (50) hält als Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes die Fäden im Leistungsbereich in der Hand. Über seine auffällig bunten Pullover während der Handball-WM mag Hanning, der in Essen geboren wurde und heute mit der Ex-Sprinterin Katrin Krabbe (49) zusammenlebt, nicht mehr reden.

Foto: dpa/Soeren Stache

Die Handball-WM 2019 in Deutschland und Dänemark ist Geschichte. Welche Erkenntnisse hat sie geliefert, wie sind die Aussichten der deutschen Nationalmannschaft für die Zukunft? Und was liegt im deutschen Handball im Argen? Bob Hanning, der wortgewaltige Vize-Präsident des Deutschen Handball-Bundes und Geschäftsführer von Bundesligist Füchse Berlin steht im Interview zu diesen und anderen Fragen Rede und Antwort.

Herr Hanning, seit Dienstag sind Sie wieder zurück an Ihrem Arbeitsplatz als Geschäftsführer der Füchse Berlin. Wie fällt in Ihrer Funktion als Vize-Präsident des Deutschen Handball-Bundes das Fazit zur Weltmeisterschaft in Deutschland und Dänemark aus?

Bob Hanning: Mit dem Vorstoß ins Halbfinale haben wir unsere sportliche Zielsetzung erreicht. Mit diesem Ergebnis, aber auch mit dem Erlebnis einer Heim-WM können wir gut leben. In den Arenen haben wir einen Besucher-Rekord erreicht, dazu in der Spitze fast 14 Millionen Zuschauer vor die Fernseh-Geräte gelockt. Das entspricht immerhin einem Marktanteil von 30 bis 35 Prozent. Wir dürfen damit jetzt durchaus mal für eine Woche zufrieden sein.

Nur eine Woche? Weil es Dinge zu verbessern gibt? Die 35 Prozent TV-Zuschauer haben sich zum beispiel des öfteren über das Spiel ohne Torwart geärgert, weil sich das deutsche Team vermeintlich unnötig einige Gegentreffer einfing. Liegen 14 Millionen Bundestrainer falsch?

Hanning: Ich bin überhaupt kein Freund vom Spiel ohne Torhüter. Meiner Meinung nach sollte das Spiel ohne Torwart zumindest in der Jugend-Bundesliga verboten werden. Besonders das sieben gegen sechs ist für die Entwicklung junger Spieler tödlich. Sie finden keine technischen Lösungen, sondern nur taktische.

Die deutsche Mannschaft hat besonders in der Abwehr immer wieder Lösungen gefunden. Dennoch: Wäre diesem Team auch außerhalb der Republik der Sprung ins Halbfinale gelungen – oder hat es nicht doch nur das Heim-Publikum dorthin getrieben?

Hanning: Für die Entwicklungs-Dynamik in diesem Turnier war der Heim-Vorteil natürlich von Bedeutung. Ich bin mir aber recht sicher, dass diese Mannschaft mit ihrem Zusammenhalt auch in anderen Ländern weit gekommen wäre. Und eines dürfen wir nicht außer Acht lassen: Für das Halbfinale einer WM kommen immer rund zehn Nationen in Frage.

Island in diesem Jahr nicht. Dessen Torwart Björgvin Pall Gustavsson hat aufhorchen lassen, als er sich über den Internationalen Handball-Verband und dessen Präsidenten Hassan Moustafa beschwerte. Wie bewerten Sie den Vorwurf, der enge Spielplan sei Schuld, dass sich acht Top-Spieler verletzt haben?

Hanning: Im Falle von Island kann ich den Frust absolut nachvollziehen. Die haben mit Aron Palmarsson und Arnor Gunnarsson zwei Leistungsträger verloren und anders als Deutschland vier Spiele in fünf Tagen absolviert. Dazu kam für sie der Umzug von München nach Köln. Diese Belastung ist in der Tat zu hoch. In einer Analyse müsste man zu dem Ergebnis gelangen, dass WM wie auch die ab dem nächsten Jahr ebenfalls mit 24 Teams stattfindende EM um drei bis vier Tage verlängert werden müssen.

Deutschland hat es unter die besten Vier geschafft. Welche Aussichten hat dieses Team, wird es Rücktritte geben und wer ist auf dem Sprung zum Nationalspieler?

Hanning: Diese Mannschaft ist noch lange nicht am Ende. Wir haben einen guten Mix aus erfahrenen und jüngeren Spielern. Zum Rücktritt besteht für keinen eine Notwendigkeit. Und ich sehe auch in der Breite Potenzial. Julius Kühn und Simon Ernst haben diese WM verpasst, Franz Semper sowie Tim Suton stehen erst am Anfang ihrer Karrieren und Sebastian Heymann sowie Johannes Golla sind auf dem Sprung ins DHB-Team. Vor der Zukunft müssen wir keine Angst haben.

Dennoch liefern nicht alle Bundesliga-Topvereine der Nationalmannschaft gut zu. Flensburg sowie die Rhein-Neckar-Löwen haben jeweils nur drei Deutsche im Kader. Muss da auch ein Umdenken stattfinden?

Hanning: Das muss jeder Verein für sich entscheiden. Es sind Wirtschaftsunternehmen und ihre Geschäftsführer stehen für den Erfolg in der Verantwortung. Wenn Fans und Sponsoren den angesprochenen Weg mittragen, dann ist das zu akzeptieren. Bei uns in Berlin käme es allerdings nicht in Frage. Wir können auf die Champions League verzichten, aber nie auf Nachwuchs. Die SG Flensburg hat im Übrigen einen guten Nachwuchs, sie nutzt ihn wie bei Torwart-Talent Johannes Jepsen nur leider nicht.

Genutzt hat Bundestrainer Christian Prokop seine zweite Chance nach der verkorksten EM 2018. Damals wurde seine Entlassung gefordert. Wie bewerten Sie die Entwicklung des Trainers?

Hanning: Ich habe in meinen jetzt fast 14 Jahren bei den Füchsen Berlin nur einmal einen Trainer entlassen, und auch wir vom DHB wollten im Falle von Christian Prokop vor einem Jahr keine populistische Entscheidung treffen. Viele wie Martin Schwalb haben sich von außen zu Wort gemeldet, weil sie den Job gerne selber machen würden. Wir beim DHB und somit auch ich müssen uns vielmehr den Vorwurf gefallen lassen, dass wir nach Platz neun bei der WM 2017 keine Detail-Analyse gemacht haben, sondern einfach nur auf den Trainerwechsel vertrauten. Dabei lag schon seinerzeit einiges im Argen. Nach der EM 2018 gab es dann die erforderliche Analyse. Und wir wussten, dass Christian Prokop Lösungen finden würde.

Wird auch der DHB Lösungen finden, wie sich das Handball-Interesse nutzen lässt? Nach dem WM-Gewinn 2007 ist das ja nicht so nachhaltig gelungen.

Hanning: 2007 darf man nicht mit 2019 vergleichen. Wir haben inzwischen einen hauptamtlichen Vorstand sowie 40 Prozent mehr Mitarbeiter. Aber wie ich eingangs sagte, wir dürfen uns eine Woche freuen und müssen dann wieder an die Arbeit gehen. Es gibt viel zu tun, besonders im Nachwuchsbereich. Bei der Trainer-Ausbildung müssen wir den Bogen noch breiter spannen, darüber hinaus brauchen einige Landesverbände professionellere Strukturen. Westfalen zum Beispiel ist nur mit zwei Kleinbussen zum Jugend-Länderpokal gefahren. Das heißt, statt 16 möglichen Spielern konnten nur 14 Jungs mit. Dabei ist dieses Turnier für Kinder das Größte. Das zeigt, dass noch immer nicht alle verstanden haben, um was es wirklich geht.

Ist es für die Nachwuchs-Gewinnung ein Problem, dass der Handball im TV zum großen Teil im Bezahl-Fernsehen verschwunden ist?

Hanning: Das sehe ich nicht ganz so dramatisch. Ein paar Bundesliga-Partien und das Final-Turnier um den DHB-Pokal sind ja frei empfangbar, dazu gibt es jede Woche in der ARD-Sportschau Zusammenfassungen von Spielen. Wir erreichen damit viel mehr Zuseher als es mit den Live-Übertragungen bei Sport1 oder Eurosport der Fall war.

Sie selbst waren Trainer in Solingen und Wuppertal. Wie gefällt Ihnen die Entwicklung beim forschen Aufsteiger Bergischer HC?

Hanning: Ich beobachte die Arbeit meines Kollegen Jörg Föste und seines Marketing-Leiters Philipp Tychy sehr wohlwollend. Es ist klar zu erkennen, wie an Strukturen und der Entwicklung gearbeitet wird. Darüber hinaus freut es mich, dass der Verein mit Sebastian Hinze einem jungen deutschen Trainer das Vertrauen schenkt. Er macht einen exzellenzen Job. Es wäre allerdings wünschenswert, wenn der BHC für Spitzenspiele nicht nach Düsseldorf ausweichen müsste. Es muss im Bergischen Land doch möglich sein, die wirtschaftlichen Kräfte zu bündeln, um eine moderne Halle bauen zu lassen.