Koller vor EM 2016: „Hätte uns härter treffen können“

Wien (dpa) - Abgesehen von einer 1:2 Niederlage im Testspiel gegen seine Heimat Schweiz hat Österreichs Teamchef Marcel Koller 2015 eine makellose Bilanz abgeliefert. Die EM-Qualifikation beendete sein Team souverän als Gruppensieger.

Foto: dpa

Mit Portugal, Island und Ungarn hat die Alpenrepublik zudem lösbare Aufgaben bei der Europameisterschaft in Frankreich im kommenden Jahr. Eines der Geheimnisse des Erfolgs: Kommunikation. „Ich habe es gern, wenn die Spieler sich beim Frühstück und beim Essen miteinander unterhalten und das Handy weglegen“, sagt der 55-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.

Österreich jubelt über das Traumlos in der EM-Gruppe. Sie auch?

Marcel Koller:Ich juble nicht, aber es hätte uns härter treffen können. Jetzt beginnt die Zeit der Analyse der Gegner. Wenn alle fit und einsatzfähig sind, haben wir gegen alle Gruppengegner Chancen.

Die Nationalelf wird umjubelt wie nie. Wie gehen Sie mit dem Erwartungsdruck um?

Koller:Wir wissen, was wir können. Aber natürlich können wir keine Ergebnisse garantieren. Wir wollen vollen Einsatz zeigen, Vollgas geben, 100 Prozent abrufen.

Was haben Sie gemacht, damit das Team auf die Erfolgsspur kam?

Koller:Eine wichtige Rolle spielt das Vertrauen in die Spieler, ihnen zu signalisieren, dass sie die Richtigen sind. Dazu kommt auch ein Leitbild, eine Idee, wie wir spielen wollen. Aktiv sein, schon in der Defensive. Der Teamgeist muss gefördert werden. Ich habe es gern, wenn die Spieler sich beim Frühstück und beim Essen miteinander unterhalten und das Handy weglegen.

Welche Rolle spielt die deutsche Bundesliga als Fortbildungsstation ihrer Spieler? Zehn Spieler aus dem Kader haben deutsche Vereine.

Koller:Sie profitieren von der Mentalität, wie sie in Deutschland gelebt wird. Sie müssen sich dort durchsetzen. Sie lernen Eigenschaften, die von Vorteil sind.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Spielern?

Koller:Sie müssen nicht alle gleich sein. Ob einer pflegeleicht, umgänglich oder schwierig ist, spielt keine Rolle. Meine Aufgabe ist es, sie zur Top-Leistung zu bringen.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an sich?

Koller:Die Konsequenz, mit der ich ein Ziel im Auge behalte. Das kann auch schon mal nervig werden. Ich versuche, auf jeden Spieler zuzugehen und ihn zu verstehen. Es sind die täglichen kleinen Schritte, die helfen, Kleinigkeiten zu verbessern. Ich bin überzeugt, die Kleinigkeiten sind es, die entscheiden.

Sie schwimmen auf einer Erfolgswelle. Gab es in den vier Jahren als Österreichs Nationaltrainer auch dunkle Momente?

Koller:Nein, es gab keine dunklen Momente, aber eine schwierige Entscheidung nach dem Aus in der WM-Qualifikation vor zwei Jahren. Das Angebot aus der Schweiz, dort Nationaltrainer zu werden - da habe ich schon eine Woche hin- und her überlegt. Aber dann hatte ich das Gefühl: Ich bin hier noch nicht am Ende, es gibt Potenzial, die Mission ist noch nicht erfüllt.

Sie waren nach Ihrer Zeit in Bochum zwei Jahre lang arbeitslos. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Koller:Es war auch gut, einmal den Kopf freizukriegen, sich auch persönlich weiterzuentwickeln. Ich hatte in der Zeit mehrere Angebote aus der Bundesliga. Aber letztlich blieb die Gefahr, dass es doch nicht passt. Den Abstiegskampf kenne ich, den brauche ich nicht mehr. Das Angebot aus Österreich war genau das richtige.

Was trauen Sie ihrer Heimat Schweiz bei der EM zu?

Koller:Die Schweiz kann die Gruppe überstehen. Frankreich ist natürlich einer der Top-Favoriten fürs Finale, Rumänien ist unangenehm zu spielen und Albanien sicher eine besondere Aufgabe angesichts der Spieler mit albanischen Wurzeln im Schweizer Team.

Gibt es etwas, was sie am aktuellen Fußball stört?

Koller:Die Regel zum Handspiel. Da weiß mittlerweile keiner mehr, was Handspiel ist. Früher war es die klare Bewegung der Hand zum Ball. Jetzt zählt die absichtliche Körperverbreiterung. Aber es ist grotesk, einen Elfmeter zu bekommen, wenn der Arm nicht am Körper liegt und ich aus zwei Metern angeschossen werde. Wenn ich Verteidiger sehe, die vorsichtshalber die Hände auf den Rücken nehmen, kriege ich Bauchschmerzen.

Was tun Sie, wenn Sie nicht an Fußball denken?

Koller:Ich würde gern mehr Rad- und Skifahren, Eishockey oder Tennis spielen, aber meist fehlt die Zeit. Ich höre gern klassiche Musik. Da gibt es in Wien reichlich Möglichkeiten.

Sie haben einmal gesagt, Hennes Weisweiler (u.a. Borussia Mönchengladbach) sei als Trainer Ihr Vorbild. Ist das immer noch so oder gibt es auch andere Trainer, die Ihnen imponieren?

Koller:Weisweiler hat extrem viel mit jungen Spielern gearbeitet. Er hat die Jungen gestärkt und die Alten gefordert. Als Vorbilder fallen mir auch Roy Hodgson und Leo Beenhakker ein.

Wie gehen sie mit dem Kult um ihre Person um? In Österreich werden sie verehrt, in der Schweiz sind sie vor kurzem zum „Trainer des Jahres“ gekürt worden.

Koller:Ich bin so erzogen worden, dass ich nicht abhebe. Ich freue mich darüber, aber die Freude der Fans gilt ja auch der Mannschaft. Wichtig ist: Nicht stehenzubleiben, sondern dranzubleiben.

Glauben Sie, dass der Erfolg des Nationalteams den Fußball-Stellenwert in Österreich längerfristig verbessern kann?

Koller:Die Begeisterung ist riesig. Da kommt extrem viel in Bewegung. Jetzt kommt es darauf an, dass das Team das Niveau hält.

ZUR PERSON:Marcel Koller hat 25 Jahre lang für Grashopper Zürich gespielt. Er ist 55 Mal ins Nationalteam berufen worden. Als Trainer war er Meistermacher beim FC St. Gallen, danach in Zürich, beim 1. FC Köln (2003-2004) und beim VfL Bochum (2005-2009) tätig. Seit 2011 ist er Chef der österreichischen Nationalmannschaft.