Anspannung vor dem Boston-Marathon
Boston (dpa) - Renndirektor Dave McGillivray spricht vom „sichersten Platz des Planeten“, doch wenn am Montag der 118. Boston-Marathon gestartet wird, bleibt ein mulmiges Gefühl.
Ein Jahr, nachdem im Zielbereich auf der Boylston Street zwei Bomben explodierten, drei Menschen starben und mehr als 260 verletzt wurden, steht trotz eines starken Läuferfeldes diesmal der Sicherheitsaspekt beim ältesten Städtemarathon der Welt klar im Vordergrund.
„Ich bin selbstbewusst, aber meine Sorgen sind wahrscheinlich auf einem Allzeithoch“, betont McGillivray. Er ist seit 2001 der Renndirektor des Langstrecken-Klassikers. Noch nie waren die Vorbereitungen auf dieses Großereignis so intensiv wie diesmal. Seit September wurde das Sicherheitskonzept bis ins Detail durchgeplant. „Wir werden die Zuschauer offensiv miteinbeziehen“, sagt Kurt Schwartz, Staatssekretär für öffentliche Sicherheit im Bundesstaat Massachusetts. Das Motto lautet: „See something, say something“ - Siehst du was, sag' was.
Um die Sicherheit der 36 000 Läufer - nur zum 100-jährigen Jubiläum 1996 waren es mehr - sowie der erwarteten eine Million Zuschauer gewährleisten zu können, werden 130 Elitesoldaten die Strecke von Hopkinton bis Boston abmarschieren. Knapp 3500 Polizisten und Sicherheitskräfte kommen zum Einsatz. Das sind doppelt so viele wie im Vorjahr. 500 von ihnen mischen sich inkognito unters Volk.
„Wo immer größere Menschenmengen sind, haben wir zusätzliche Überwachungskameras“, sagt Schwartz. Der Beauftragte der Bostoner Polizei, William Evans, kündigte an, dass seine Beamten die Zuschauer bei einer zu großen Ansammlung auffordern werden, das Rennen von einer anderen Stelle aus zu verfolgen. Rucksäcke sind trotz der Geschehnisse vor einem Jahr nicht verboten, werden aber einer strengen Kontrolle unterzogen, so Schwartz. „Was Sie nicht wirklich vor Ort brauchen, sollten Sie zu Hause lassen“, ergänzt Evans.
Am 15. April 2013 hatten die beiden Attentäter selbstgebaute Bomben in Rucksäcken zum Zielbereich gebracht. Die Erinnerungen an eine der größten Tragödien der Stadtgeschichte werden in diesen Tagen bei vielen wieder wach. Kaum jemand erinnert sich noch an die Namen der Sieger, Lelisa Desisa aus Äthiopien und Rita Jeptoo aus Kenia. Zwei Detonationen hatten innerhalb von Sekunden alles Sportliche in den Hintergrund gedrängt. Aus dem Jubel wurden Hilfeschreie.
Fünf Tage lang herrschte Ausnahmezustand in der Massachusetts-Metropole. Bei der Verbrecherjagd wurde ein Polizist erschossen, ehe einer der mutmaßlichen Attentäter tot und sein Bruder gefasst war. In den Krankenhäusern litten derweil Frauen, Männer und Kinder weiter. Bei 16 von ihnen mussten Gliedmaßen amputiert werden.
Ein Slogan hat die Einwohner seit jenen traurigen Tagen vereint: „Boston Strong“. Eine Stadt zeigt gemeinsam Stärke - auch jetzt. Entlang der Boylston Street hängen Fahnen in den blau-gelben Farben des Marathon-Veranstalters Boston Athletic Association. „We run together“ lautet diesmal das Motto und ist in vielen Schaufenstern entlang der Straße zu lesen. Amerikaner und Ausländer machen sich gemeinsam auf die 42,195 Kilometer. Knapp 5600 davon konnten im Vorjahr ihr Rennen nicht beenden, wurden von der Polizei gestoppt. Sie wollen diesmal die Ziellinie im Herzen von Boston überschreiten.
Und der Ort der Tragik soll zur Gasse der großen Gefühle werden. „Wenn die Sonne am Montag über der Boylston Street aufgeht, werden Hunderttausende zusammenkommen und der Welt die Bedeutung von Boston Strong zeigen, indem sich eine Stadt dazu entscheidet, wieder zu laufen“, hatte US-Präsident Barack Obama betont. Boston wird laufen. Laufen, um die Vergangenheit zu bewältigen, um der Toten, Verletzten und Verstümmelten zu gedenken und um einen wichtigen Schritt nach vorne zu machen. Und Boston hat gelernt. Nicht nur die Polizei ist vorbereitet, sondern auch die Ärzte und Mediziner. Erstmals in der Geschichte des Marathons haben sie Abbindeschnüre dabei.