Boston rüstet sich für Traditions-Marathon
Boston (dpa) - In Boston werden wieder die Laufschuhe geschnürt. Während der noch lebende der beiden mutmaßlichen Marathon-Bombenleger auf seinen Prozess wartet, wollen am Ostermontag 36 000 Sportler die 42,2 Kilometer in die Metropole schaffen - und dem Terror-Trauma trotzen.
Als um 14.49 Uhr die erste Bombe explodierte, saß Jean Harnedy um die Ecke in einem Restaurant mit ihren Kindern. Ob das ein Kanonenschuss gewesen sei, fragte ihr zehn Jahre alter Sohn. „Wir hatten Angst, das Restaurant zu verlassen“, erinnert sich die 41-Jährige an die Minuten nach dem Terroranschlag, der den Zielbereich des Boston-Marathons 2013 mit einem gewaltigen Knall in ein qualmendes Chaos verwandelte. Dann sahen sie, wie Menschen rannten - nicht nur Sportler, sondern auch Zuschauer.
Doch der Qualm hat sich längst verzogen, und die wohlhabende Metropole an der US-Ostküste will sich von der hässlichen Fratze des Terrors nicht ihren Traditionslauf vermiesen lassen. „Es ist eines der besten Wochenenden in der Stadt“, sagt Rene Fielding, Leiterin der Katastrophenschutzbehörde von Boston, der Nachrichtenagentur dpa. Die Stadt rechnet mit 500 000 bis eine Million Besuchern, die dabei sein wollen, wenn an diesem Ostermontag wieder das Rennen vom Neu-England-Städtchen Hopkinton nach Boston stattfindet. Der Zielbereich am Copley Square dürfte aus allen Nähten platzen.
Auch auf der 42,195 Kilometer langen Strecke könnte es eng werden, denn mit 9000 mehr Startnummern als üblich wollen die Veranstalter all jenen Läufern eine Chance geben, ihr abgebrochenes Rennen vom vergangenen Jahr nachzuholen. „Das ist eine einmalige Sache“, sagt Marc Davis vom Veranstalter Boston Athletic Association (BAA). Mehr als die 36 000 Teilnehmer, die diesmal dabei sein werden, gab es nur 1996 zum 100-jährigen Jubiläum beim ältesten Stadtmarathon der Welt.
Weder von diesem Ansturm noch von den düsteren Erinnerungen an den Doppel-Anschlag mit drei Toten und 264 Verletzten wollen sich die Läufer einschüchtern lassen. „Ich kenne niemanden, der ängstlich ist, und ich kenne eine ganze Menge Leute, die laufen“, sagt der aus New York anreisende Justin Burke. Ähnlich sieht es die 25 Jahre alte Mariela Quintana, die am Montag ihren dritten Marathon laufen wird. „Ich bin nicht nervös“, sagt sie. „Es gibt erhöhte Sicherheit und mehrere Checkpoint-Ebenen.“ Burke weiß allerdings auch: „Es ist unmöglich, die gesamte Länge der Strecke zu verteidigen.“ 3500 Beamte sowie 130 Soldaten sollen für einen störungsfreien Ablauf sorgen.
Monatelang haben Fielding und ihr Katastrophenschutzteam über Plänen für den Ernstfall gebrütet, um schnell und richtig zu handeln, falls plötzlich doch ein herrenloser Rucksack die Sprengstoffexperten auf den Plan ruft - oder gar in die Luft geht. „Wir haben einen sehr soliden Plan, wir haben ihn geübt und mit vielen verschiedenen Leuten am Tisch gesessen“, versichert Fielding, die seit acht Jahren für die Behörde arbeitet. Polizei, Feuerwehr, Park-Service sowie Einsatzleute auf bundesstaatlicher und nationaler Ebene seien bestens gebrieft.
Am wichtigsten beim Terroranschlag auf solch ein Großereignis mit Hunderttausenden Besuchern sei: „Lass' die Leute wissen, was los ist. Sag' ihnen, ob sie in Deckung gehen, die Gegend verlassen oder sich woanders treffen sollen.“ Lautsprecheranlagen und virtuelle Infotafeln, deren Beschriftung sich aus Fieldings Zentrale steuern lässt, sollen im Ernstfall schnell wichtige Hinweise geben. Denn getrennte Familien, überlastete Handynetze und allgemeine Verunsicherung vergrößern das Chaos nach einem Anschlag unnötig.
Jean Harnedy hatte übrigens Glück: Zwölf Langstreckenrennen hatte sie bereits hinter sich, der Lauf im vergangenen Jahr hätte ihr 13. werden sollen. Doch ihre beiden Kinder drängten sie dazu, die Laufschuhe im Schrank zu lassen. „Das wäre meine Zielzeit gewesen“, sagt die gebürtige Bostonerin mit Blick auf den Zeitpunkt der beiden Explosionen nahe der Ziellinie.
Ihre Freunde, ebenfalls erfahrene Läufer, waren dem Anschlag nur um wenige Minuten entkommen. Eine Pause mehr, ein kurzer Plausch mit Bekannten hätte sie zu Opfern der Bombenleger vom 15. April 2013 machen können. Harnedy wird dieses Jahr wieder laufen - und ihre Kinder wollen sie anfeuern. Nur nicht im Zielbereich.
Bereits am Wochenende zeigte die Polizei dort verstärkte Präsenz. Die für den Durchgangsverkehr gesperrte Boylston Street war auch diesmal wieder Anziehungspunkt für Hunderttausende. Einheimische und Besucher kamen bei herrlichem Wetter, flanierten über die ansonsten viel befahrene Straße, machten Fotos auf der Ziellinie oder legten Blumen an den Stellen nieder, an denen die Bomben detonierten. Auffällig sind die Osterglocken. Insgesamt 100 000 dieser Blumen wurden nach den Anschlägen entlang der Strecke gepflanzt. Vor dem Start in Hopkinton wird mit einer Schweigeminute der Opfer gedacht.