DBS macht im Fall Rehm Druck
Düsseldorf (dpa) - Einen Tag vor Bekanntgabe des EM-Aufgebots wächst im Fall Rehm der Druck auf den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) und der Zweifel an einer wissenschaftlich belegbaren Entscheidung.
„Es kann keine datenbasierte und seriöse Beurteilung sein“, erklärte Gert-Peter Brüggemann, Biomechaniker an der Deutschen Sporthochschule in Köln, am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa. „Es ist und muss eine politische Entscheidung sein.“ DLV-Präsident Clemens Prokop widerspricht dem nicht: „Im Spannungsfeld zwischen Inklusion und Chancengleichheit ist der Chancengleichheit zum Schutz des Wettbewerbs der Vorrang einzuräumen.“
Die Weitsprünge des behinderten Markus Rehm bei seinem Sieg mit 8,24 Meter bei den deutschen Meisterschaften in Ulm waren von biomechanischen Messungen begleitet gewesen, die bei der Nominierung für die Europameisterschaften der Nichtbehinderten vom 12. bis 17. August in Zürich berücksichtigt werden sollten. Nach Ansicht von Brüggemann, der im Fall des beidbeinig amputierten südafrikanischen Läufers Oscar Pistorius Gutachter war, reichten diese Untersuchungen nicht aus.
Ein Beleg, ob die Beinprothese dem unterschenkelamputierten Leverkusener Rehm einen Vorteil im Wettkampf mit den Nichtbehinderten verschafft haben könnte, seien sie nicht. „Was im Wettkampf gemacht werden kann, reicht absolut nicht aus, um zu beurteilen, ob und wie eine Prothese im Vergleich zu gesunden, leistungsfähigen Gelenken funktioniert“, sagte Brüggemann. „Da muss man etwas mehr machen als Videoaufnahmen und etwas Geschwindigkeit messen.“
Ungeachtet der Einwände fordert der Deutsche Behindertensportverband (DBS) die Nominierung des Paralympics-Siegers. „Der DBS wünscht, dass Markus Rehm die Chance erhält, sich bei den bevorstehenden Europameisterschaften der Leichtathleten zu präsentieren“, erklärte DBS-Vizepräsident Leistungssport Karl Quade auf der Homepage des Verbandes. „Wir erwarten, dass der DLV ihn in das deutsche Team aufnimmt.“
Zudem warnte DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher, Sportler mit Behinderungen von Wettkämpfen mit Nichtbehinderten auszuschließen. „Wenn im Regelwerk von Sportverbänden der Einsatz von Prothesen verboten wird, wäre das eine Diskriminierung“, schrieb Beucher in einem Beitrag für den Berliner „Tagesspiegel“ (Mittwoch) unter Bezug auf den Fall Rehm. Zwar müssten auch in Rehms Fall mögliche Wettbewerbsverzerrungen durch den Einsatz der Prothese überprüft werden. Die eigentliche Debatte reiche jedoch weit über technische Aspekte hinaus. Die Kernfrage ist für Beuchert: „Kann ein Handicap, das ja immer ein Nachteil ist, zum vermeintlichen Vorteil werden?“
Für den DBS ist nicht relevant, ob der Nachweis erbracht ist, dass Rehm durch die Prothese einen Wettbewerbsvorteil haben könnte. „Nicht die Prothese springt 8,24 Meter weit, sondern der Mensch“, sagte Quade. „Mit seinem Meister-Sprung hat Markus Rehm eine Superleistung vollbracht, die ihn als Ausnahmekönner bestätigt.“
Für den Sportwissenschaftler Brüggemann ist es generell fraglich, ob auf Biegen und Brechen Nichtgehandicapte und Behinderte Wettkämpfe mit einer Wertung ausgetragen werden müssen. „Die entscheidende Frage ist: Will man das? Wenn ich ein technisches Hilfsmittel habe, dann möchte ich doch unter den Bedingungen die Leistung optimieren“, meinte er. „Im Automobilsport wird man ja auch die Technik nicht reduzieren, um alles vergleichbar zu machen.“ Außerdem gebe es doch im Rudern auch die Leicht- und Schwergewichtsklassen, die zum Teil gegeneinander antreten, aber unterschiedlich gewertet würden.
Wie auch immer die Entscheidung über die Nominierung Rehms für die EM ausfallen wird: Ex-Europameister Christian Reif, der bei dem nationalen Titelkampf Rehm unterlegen war und mit 8,20 Meter Zweiter wurde, freut sich schon auf das nächste Duell mit ihm. „Markus Rehm und ich werden am 31. August beim ISTAF Berlin wieder aufeinandertreffen“, twitterte Reif. „Gelebte #Inklusion!“