Im Schatten von Rehm: Inklusion im Sport auch Alltag
Düsseldorf (dpa) - Im Schatten von Behindertensport-Ausnahmeathleten wie Oscar Pistorius oder Markus Rehm gehört die Inklusion in einer Reihe von Sportarten zum Alltag.
Ob im Bogenschießen, Handball, bei den Sportschützen, im Schwimmen, Volleyball oder Tischtennis: Gehandicapte kämpfen von der Kreis- bis zur Bundesliga gegen gesunde Athleten. „Man muss sich in einer Klasse einordnen, wo die Leistungsfähigkeit zwischen Behinderten und Nichtbehinderten eine Vergleichbarkeit zulässt“, sagte Frank-Thomas Hartleb, Sportdirektor des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) am Dienstag.
Im Tischtennis ist Jochen Wollmert (49) ein Beispiel, wie ein gemeinsames Sporttreiben auf höherem Niveau möglich ist. Der dreifache Paralympics-Sieger im Einzel wechselte im Juni vom TV Mosbach zum deutschen Rekordmeister Borussia Düsseldorf. Die Rheinländer sprachen von einem tollen Coup. „Jochen Wollmert ist ein berühmtes Beispiel für gelebte Inklusion. Er wird bei uns sowohl mit Nichtbehinderten in der Verbandsliga spielen, als auch im Behindertensport in der Landesliga“, sagte Borussias Geschäftsführer Jo Pörsch. Als Inklusion wird die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen bezeichnet.
Wollmert, der von Geburt an versteifte Hand- und Fußgelenke hat, hatte zuvor auch mit Mosbach in der Badenliga und Oberliga gegen Nichtbehinderte gespielt. Zu seinen Teamkollegen zählte der frühere Doppel-Weltmeister Steffen Fetzner. Parallel schlug Wollmert im Behindertensport für den RBS Solingen auf und gewann zehn deutsche Mannschaftstitel. „Jetzt kehre ich in die Verbandsliga zurück“, sagte der 49-Jährige, der sich bei der Borussia fit machen will, um bei den Paralympics in Rio „ein Wörtchen um die Medaillen“ mitzureden.
Fortgeschritten ist die Inklusion im Bogenschießen und bei den Sportschützen. Der Deutsche Schützenbund (DSB) hat sogar beschlossen, dass Behinderte bis hin zur Bundesliga in der Kategorie Luftgewehr und Luftpistole gleichberechtigt gegen gesunde Athleten antreten können. Im Bogenschießen startete einst der Geraer Mario Oehme, Paralympics-Sieger im Team 1996 und Einzel 2004, auf Weltklassebene oft bei den Nichtbehinderten, konnte seinen Traum von einer Olympia-Teilnahme aber nicht realisieren. Das gelang 1996 der Italienerin Paola Fantato 1996. Ergebnis: Gold bei den Paralympics sowie Platz 54 bei den Sommerspielen in Atlanta.
Beim Internationalen Schwimmfest in Essen vom 17. bis 20. Juli traten Behinderte und Nichtbehinderte zwar nicht gegeneinander an, aber die Wettkämpfe wurden abwechselnd durchgeführt. Mit dabei war Paralympics-Siegerin Kirsten Bruhn. „Das ist eine größere Bühne von ideellem Wert, weil wir jetzt inklusiv zusammen starten. Das ist etwas, was mir viel bedeutet“, sagte sie. „Das ist ein Meilenstein. Behindert zu sein ist nichts Schlechtes, es ist anders.“ Ein deutscher Schwimmer mit Handicap konnte sich bisher nicht für Olympia qualifizieren. Dafür die beinamputierte Südafrikanerin Natalie du Toit, die 2008 in Peking über 10 Kilometer auf den 16. Platz kam.
Im Handball machte sich der einarmige Torwart Matthias Thiemann einen Namen. Trotz der Behinderung spielte er einst in der Regionalliga für den TV Korschenbroich. Ein Beispiel, dass man mit gesunden Sportlern mithalten kann, ist der ehemalige Formel-1-Pilot Alessandro Zanardi. Bei einem ChampCar-Unfall 2001 auf dem Lausitzring verlor Zanardi beide Beine oberhalb der Knie. Nachdem der Italiener zwischenzeitlich im Handbike bei den Paralympics Gold gewann, versucht er in diesem Jahr das Comeback im Motorsport in einem BMW Z4 GT.
Dass das Aufsehen um den unterschenkelamputierten Markus Rehm nach seinem Weitsprung-Coup bei den deutschen Meisterschaften der Nichtbehinderten, die Inklusion vorantreibt, sieht der DBS auch zwiespältig. „Es bringt den Behindertensport in die Öffentlichkeit“, meinte Hartleb, „doch sollte sich herausstellen, dass die Beinprothese Rehm einen Vorteil beim Titelgewinn gebracht hat, könnte es zu einer neuen Diskussion stehen. Wie steht der paralympische Sport dann da?“