European Championships: Die Geburt neuer Sportstars

Die European Championships haben begeistert. Jetzt diskutiert die Republik das Format und die nächsten Ausrichtungen — womöglich in NRW?

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Berlin. Gefallene, bestätigte und neuentdeckte Stars, eine herausragende Kulisse für Sieger und Abgeschlagene — und Stimmung, die sich auf die Millionen Fernsehzuschauer übertrug: Die Leichtathletik-Europameisterschaft von Berlin, erstmals im Rahmen des European-Championships-Format — wird in Erinnerung bleiben. Sie könnte einer Sportart in Deutschland und Europa neue Impulse geben, die jahrelang ein Schattendasein fristete und nur noch wenige Helden hatte. In der Sommerpause des scheinbar übermächtigen Fußballs nach einer vermaledeiten WM hat die Leichtathletik an vorderster Stelle die Chance ergriffen, verloren Gegangenes geradezurücken. Über sieben Tage waren rund 300 000 Besucher dabei — und alle begeistert.

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Im Schnitt sahen 2,09 Millionen Zuschauer alle Übertragungen in ARD und ZDF. Durchschnittlichen Marktanteil: 15,6 Prozent — ein starker Wert. Nur wenig mehr Zuschauer als parallel die Leichtathletik verfolgten am Sonntagabend das Fußball-Supercup-Spiel zwischen dem FC Bayern und Frankfurt (5,44 Millionen/5,18 Millionen). Auch Walter Schneeloch, Präsident des Landessportbundes in NRW, war angetan. Und brachte Nordrhein-Westfalen ins Gespräch für eine der kommenden Ausrichtungen dieses Sportgroßereignisses. „Der Mut für eine gemeinsame Großveranstaltung wurde wirklich belohnt“, sagte Schneeloch. „Ohne irgendwelche konkreten Hintergedanken: Aus meiner Sicht wäre auch dem Sportland NRW ein solches Event mit den besonderen logistischen Herausforderungen absolut zuzutrauen.“ Das nächste Mal ist das Format wohl für 2022 angedacht, womöglich nur noch an einem einzigen Ort, dann wohl mit Beachvolleyball oder einer anderen Ballsportart und ohne Rudern oder Golf, die beide wenig Begeisterung für den Bewerb empfanden — und das so auch ausstrahlten.

Nicht so die Leichtathletik. „Es war eine unfassbare, die Mannschaft tragende Atmosphäre“, schwärmte DLV-Chef Idriss Gonschinska. Zuvor hatten Gesa-Felicitas Krause und die weibliche 4 x 100 Meter-Staffel als letzte deutsche von 128 Protagonisten die 42500 im Stadion von den Sitzen gerissen. „Ich denke, wir haben einige Teilziele auf dem Weg zu den Olympischen Spielen nach Tokio 2020 erreicht“, sagte Gonschinska mit Blick auf 19 Medaillen — so viele wie seit der letzten Heim-EM 2002 in München nicht. Rückschläge inklusive. Diskuswurf-Olympiasieger Christoph Harting zum Beispiel, der vorher geäußert hatte, für ihn zähle nur Olympia — und dann drei Würfe in der Quali ins Netz setzte.

Dafür sprangen andere ein. „Bisher waren wir vor allem Werfernation, jetzt sind wir auch Springernation“, sagte Hochsprung-Europameister Mateusz Przybylko mit Blick auf die Medaillen von Malaika Mihambo (Gold im Weitsprung), Kristin Gierisch und Fabian Heinle (Silber im Drei- und Weitsprung) sowie von Marie-Laurence Jungfleisch (Bronze im Hochsprung). Pryzbylko, dessen Brüder Profifußballer sind, ist ein Star dieser EM, der sich mit der Weltelite auch künftig messen können wird.

Brüdergeschichten gab es reichlich. Wie die der belgischen Borlees, die mit nur einem Nicht-Familienmitglied die 4 x 400-Meter-Staffel gewann. Oder die der drei norwegischen Ingebrigtsen-Brüder, von denen Küken Jakob (17) über 1500 und 5000 Meter allen davonlief. Dass Europa wieder Leichtathletik-Popstars hat, haben kann und sie künftig auch pflegen muss, war eine der Erkenntnisse dieser Meisterschaften. Neben Ingebrigtsen und seinem Landsmann Karsten Warholm (400-Meter-Hüden-Sieger) gehört dazu sicher die britische Doppel-Europameisterin Dina Asher-Smith, Siebenkampfsiegerin Nafi Thiam aus Belgien und vor allem der schwedische Überraschungs-Stabhochsprung-Sieger Armand Duplantis, der mit seinen 18 Jahren und der Wahnsinnshöhe von 6,05 Metern auch dem französischen Weltrekordhalter Renaud Lavillenie (6,16 m) die Show stahl. Der war erster Gratulant.

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Deutschland und Berlin können sportliche Großevents — auch das ist eine Erkenntnis, die die blaue Berliner Laufbahn, über deren Wegfall seit Jahren angesichts des Plans eines reinen Fußballstadions nachgedacht wird, im Olympiastadion erhalten soll. IAAF-Präsident Sebastian Coe berichtete diesbezüglich von einem Versprechen des Berliner Oberbürgermeisters Michael Müller (SPD). Und befand selbst: „Dieses Stadion ist ikonisch und ein historischer Ort. Als studierter Historiker sage ich Ihnen eines: Man baut seine Geschichte nicht um.“