Zweite über 100 Meter Gina Lückenkemper hüpft und weint: Mit Power zu EM-Silber

Berlin (dpa) - Vor dem Training leckt sie gern mal an einer 9-Volt-Batterie, voll unter Strom und mit Power ist Gina Lückenkemper im 100-Meter-Finale der Leichtathletik-EM zur Silbermedaille gesprintet.

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Die 21-Jährige musste sich im Berliner Olympiastadion nur der Britin Dina Asher-Smith geschlagen geben, die in 10,85 Sekunden zum Titel stürmte. Die Niederländerin Dafne Schippers verpasste als Dritte in 10,99 Sekunden den erhofften Hattrick. Sie hatte 2014 und 2016 EM-Gold gewonnen.

Lückenkemper hüpfte nach dem Silber-Coup auf der blauen Bahn, verdrückte ein paar Tränen - und wurde von Maskottchen Berlino in den Arm genommen. Dann ging sie allein auf die Ehrenrunde und ließ sich von den mehr als 34 000 Zuschauern feiern. „Ich habe jede einzelne Sekunde davon genossen“, sagte sie danach im ZDF. „Das ist einfach nur herrlich. Die Tränen kommen einfach durch die ganze Atmosphäre hier im Stadion, die Zuschauer - das ist einfach nur geil.“

Schon nach dem Halbfinale sprudelte es aus Lückenkemper heraus. „Es war einfach ein geiles Rennen. Ich bin saugeil drauf. Es ist einfach mega, dass ich das auf die Bahn bringen kann“, sagte sie im ZDF. Zwei Stunden später holte sie sich ihre insgesamt dritte Medaille bei Europameisterschaften ab - die Eltern und ihr Freund jubelten im Stadion mit den Fans.

Vor zwei Jahren in Amsterdam hatte sich Deutschlands Top-Sprinterin jeweils Bronze über 200 Meter und in der 4x100-Meter-Staffel erkämpft. Und das mit 19. Inzwischen ist die junge Frau reifer geworden - und schneller. Sie ist das Gesicht dieser EM. „Ich möchte von der EM mit zwei Medaillen nach Hause fahren“, hatte die Athletin vor den Titelkämpfen selbstbewusst angekündigt.

Bei der WM in London rannte sie Bestzeit: 10,95 Sekunden - so schnell war als letzte Deutsche Doppelweltmeisterin Kathrin Krabbe im Jahr 1991 gesprintet. Mit ihrem Trainer Ulrich Kunst hat Lückenkemper vor allem an ihrem Start experimentiert - lange Zeit ihr größtes Manko. Auch im Finale verlor sie dort zunächst einige Meter. „Die Startblöcke waren eine Katastrophe“, schimpfte sie. „Die waren von der Größe her wie bei Kreismeisterschaften und auch noch komisch eingestellt. Aber das ist mir jetzt scheißegal.“

Dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ war die Studentin der Wirtschaftspsychologie eine mehrseitige Story wert. „Ich bin extrovertiert, aber auch ein nachdenklicher Mensch“, sagte Gina Lückenkemper vor der Heim-EM. Aber auch in der „Wendy“, einem beliebten Pferdemagazin für Mädchen, stellte sie sich vor. „Dafür habe ich als kleines Kind mein ganzes Taschengeld ausgegeben“, erzählte sie einmal schmunzelnd.

Training, Wettkämpfe, Studium, Freunde, Eltern - zum Glück fährt Gina Lückenkemper gern und schnell Auto. Rund 89 000 Follower hat die Sprinterin inzwischen bei Instagram, sie engagiert sich auch für soziale Projekte. Und viel Zeit schenkt sie ihrem Pferd. „Picasso ist mein Therapeut“, sagt sie.

Als sie einmal erzählte, dass sie sich einen 9-Volt-Block an die Zunge hält, ging ein ungläubiges Staunen durch die Runde. Stimmt das wirklich? Ja, sie mache das vor dem Training, „um die Nervenzellen im Gehirn zu aktivieren“. Um ernsthaft in der Weltspitze konkurrenzfähig zu sein, müsse sie „auf Dauer unter elf Sekunden laufen“, sagte sie kürzlich. „Da habe ich noch ein paar Jahre Zeit für.“

Bei den Männern gingen Gold und Silber nach Großbritannien: Zharnel Hughes setzte sich mit dem EM-Rekord von 9,95 Sekunden knapp vor seinem Landsmann Reece Prescod (9,96) durch. Bronze gewann der Türke Jak Ali Harvey in 10,01 Sekunden. Der deutsche Rekordhalter Julian Reus aus Erfurt und der Berliner Lucas Jakubczyk waren im Halbfinale ausgeschieden. Überraschungsmeister Kevin Kranz aus Wetzlar kam über den Vorlauf nicht hinaus.