Kleinert kontra Schwanitz: Machtwechsel im Kugelstoßen?
Oslo (dpa) - Nadine Kleinert hat in ihrer Karriere schon stolze neun internationale Medaillen geholt. Im vergangenen Jahr kam bei der Leichtathletik-EM in Helsinki endlich auch die langersehnte goldene hinzu.
Doch in dieser Saison, der vermutlich letzten einer langen, erfolgreichen Laufbahn, steht die 37-Jährige noch einmal vor einer Herausforderung, die in dieser Form neu für sie ist. Es geht darum, eine Wachablösung im deutschen Kugelstoßen entweder noch einmal zu verhindern oder zumindest sportlich fair zu ertragen.
Ersteres wird für Kleinert nicht einfach, da ihre Rivalin Christina Schwanitz in diesem Jahr schon die Hallen-EM in Göteborg und das Diamond-League-Meeting in Shanghai gewann. In China siegte die zehn Jahre Jüngere von beiden sogar mit der Weltklasse-Weite von 20,20 Metern. Was den drohenden Machtwechsel angeht, hat Kleinert Ende Mai aber schon einmal Größe bewiesen. Als Schwanitz das direkte Duell bei den Haller Werfertagen klar für sich entschied, stand die jahrelange Nummer eins neben dem Ring und klatschte Beifall.
Am Donnerstag kommt es nun in Oslo zur Revanche: Die deutsche Freiluft-Europameisterin gegen die deutsche Hallen-Europameisterin. Mit einem Sieg beim etwas kleineren Meeting in Moskau hat sich Kleinert (18,39) am Dienstagabend schon einmal darauf eingestimmt.
„Natürlich versuchen wir uns gegenseitig zu überbieten. Jede will besser sein als die andere“, sagt Schwanitz dazu. „Wir kratzen uns aber auch nicht gegenseitig die Augen aus. Letztes Jahr bei den Olympischen Spielen sind wir in London zusammen shoppen gegangen.“
Für das Verhältnis zwischen Platzhirsch und Herausforderer gibt es in der Leichtathletik verschiedene Beispiele. Kugelstoßer Ralf Bartels etwa wurde zu einem wichtigen Mentor, als er merkte, dass er mit dem 13 Jahre jüngeren David Storl nicht mehr mithalten konnte.
Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch dagegen sagte erst vor einer Woche über sich und die deutsche Rekordhalterin Ariane Friedrich: „Wir sind Konkurrentinnen. Unser Verhältnis ist nicht gut.“ Fast schon legendär ist die Ehrfurcht des mehrfachen Weltmeisters und Olympiasiegers Kenenisa Bekele aus Äthiopien, der sich 2003 im WM-Finale über 10 000 Meter kaum traute, sein großes Idol Haile Gebrselassie zu überholen. Der unterlegene Altmeister winkte seinen Landsmann in der letzten Runde geradezu vorbei.
Ganz so wird es zwischen den beiden deutschen Kugelstoßerinnen wahrscheinlich nie zugehen. Für Schwanitz ist es allerdings ein völlig neues Gefühl, nach einem Wettkampf vor Kleinert zu stehen.
Die Olympischen Spiele in London und das Ende einer langwierigen Fußverletzung im vergangenen Jahr waren für sie zwei Wendepunkte. „Seitdem gehe ich viel sicherer in die Wettkämpfe“, erklärt die 27-Jährige. „Als ich vor zwei Jahren 19,86 Meter gestoßen habe, dachte ich: Wie soll ich das jemals wieder schaffen? Jetzt weiß ich: Ich kann das.“ Der Gewinn der Hallen-EM sei „der Vorreiter für die 20 Meter“ in Shanghai gewesen. „Das brauchte ich für den Kopf.“
Mittlerweile spürt sie sogar schon so etwas wie Erfolgsdruck. Bei den Weltmeisterschaften in Moskau (10. bis 18. August) gehört sie zu den Medaillenkandidaten. „Ich arbeite daran und wünsche mir das, aber klar ist das noch lange nicht“, sagt Schwanitz leicht gereizt. Nadine Kleinert hat es in dieser Hinsicht leichter. Sie hat bereits vier WM-Medaillen gewonnen. „Ich kann reinen Gewissens sagen: Ich habe alles in meiner Karriere erreicht, was man erreichen kann - und das sauber“, sagte sie der „Magdeburger Volksstimme“.