Kronzeugin Stepanowa bei EM gefeiert - Aufgabe
Amsterdam (dpa) - Erst winkte die Doping-Kronzeugin schüchtern mit beiden Händen ins Publikum. Dann fiel der Startschuss zum emotionalsten Rennen ihrer Karriere.
Alle Augen waren auf die Whistleblowerin Julia Stepanowa gerichtet - doch in ihrem 800-Meter-Vorlauf bei der Leichtathletik-EM in Amsterdam musste sie vorzeitig aufgeben. Die mutige Frau mit der Startnummer 2117 konnte die letzten 300 Meter verletzt nur gehen und kam humpelnd in 4:02,4 Minuten als letzte Läuferin ins Ziel. Doch im Kampf gegen Doping steht sie seit Monaten an vordersterer Front.
„Nach all den Monaten ist das Wichtigste, dass sie wieder die Möglichkeit hat zu laufen“, hatte ihr Ehemann Witali Stepanow vor dem Comeback in einem Interview mit der französischen Sportzeitung „L'Équipe“ gesagt. „Sie will einfach nur teilnehmen, die Regeln und ihre Gegner respektieren.“
Die 30-jährige Mittelstreckenläuferin sei immer im Training gewesen, aber sie habe nicht so viel trainiert, um eine Zeit um zwei Minuten laufen zu können, „weil sie nicht wusste, ob ihr ein Teilnahme noch erlaubt würde“. Ihre Bestzeit von 1:58,99 Minuten stellte Stepanowa unter ihrem Mädchennamen Russanowa im Juli 2009 auf.
„Sie ist ein Symbol, ein Signal für saubere Athleten. Wir sind glücklich, dass sie hier ist“, sagte Svein Arne Hansen, Präsident des Europäischen Verbandes über die mutige Athletin. „Sie hat einen großartigen Job für den Sport gemacht, um saubere Athleten zu schützen.“
Es ist das ungewöhnlichste Comeback der Leichtathletik-Historie. Im Dezember 2014 sorgte Julia Stepanowa mit ihren Enthüllungen in der ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht“ für ein sportpolitisches Erdbeben. Eine Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur lieferte die Bestätigung ihres Vorwurfs, dass es in der Leichtathletik ihres Landes ein flächendeckendes Betrugssystem gibt. Russlands Verband WFLA wurde vom Weltverband IAAF suspendiert. Die Sperre wurde am 17. Juni bestätigt und damit der Ausschluss für EM und den Olympischen Spielen in Rio amtlich.
Julia Stepanowa war 2011 für Russland bei der Hallen-EM Dritte und im gleichen Jahr WM-Achte geworden. Beide Ergebnisse wurden annulliert, weil sie wegen Auffälligkeiten im biologischen Pass rückwirkend vom 2. März 2011 für zwei Jahre gesperrt wurde. Nachdem sie in der ARD-Doku ausgepackt hatte, flüchtete die Familie Stepanowa zunächst nach Deutschland und lebt nun im Exil in den USA. In ihrer Heimat gilt sie als Verräterin.
Dafür, dass der Weltverband IAAF ihr eine Sonderstarterlaubnis wegen ihrer „wirklich außergewöhnlichen Verdienste“ um die Bekämpfung des Dopings gewährt hat, seien beide sehr dankbar. Dass Russlands Verband WFLA und damit alle Leichtathleten kollektiv suspendiert wurden finden die Whistleblower schade. „Wir bekämpfen nicht die Athleten, sondern ein System. Und dafür, dass die Wettbewerbe in Zukunft gerecht ablaufen“, erklärte Witali Stepanowa, der in Russland einst für die Anti-Doping-Agentur arbeitete.
Er hofft nun, dass seine Frau auch bei den Rio-Spielen antreten darf: „Von unserer Seite haben wir alles gemacht, damit Julia in Rio laufen darf.“ Diese Entscheidung liegt beim Internationalen Olympischen Komitee.