Lohnt sich Leichtathletik? - „Viele haben Sorge“
Karlsruhe (dpa) - Irina Mikitenko ist, wie sie lachend sagt, in ihrer Karriere wohl „mehrmals um die Erde“ gerannt. Dieses Mal darf sie sich den Beifall stehend abholen.
Die Marathonläuferin wird bei den deutschen Hallen-Meisterschaften am Wochenende in Karlsruhe offiziell verabschiedet - ebenso wie fünf weitere erfolgreiche Leichtathleten: Weitspringer Christian Reif, die Sprint-Asse Tobias Unger und Cathleen Tschirch, 1500-Meter-Läufer Carsten Schlangen und 400-Meter-Spezialist Bastian Swillims. Sie alle haben sich die Füße wund gelaufen in ihrer Karriere - und eher selten richtig abkassiert. Dennoch sagen alle: Leichtathletik lohnt sich.
Mikitenko hat 25 Jahre lang ihre langen Strecken abgespult und läuft noch heute 70 bis 80 Kilometer die Woche. „Ich bin glücklich, dass ich diese Sportart gewählt habe“, sagt die 42-Jährige. Sie war 1996 als Spätaussiedlerin von Kasachstan nach Hessen gekommen, hat zweimal den London-Marathon gewonnen, hält den deutschen Rekord auf der klassischen 42,195-Kilometer-Distanz - und ist eine gemachte Frau. 2008 gewann sie den Jackpot der World Marathon Majors (WMM) in Höhe von 500 000 US-Dollar (rund 440 000 Euro). „Ich bin jetzt auf der sicheren Seite“, erklärt Mikitenko unumwunden. Als eine der besten Straßenläuferinnen der Welt war sie eine Zeit lang die am besten verdienende deutsche Leichtathletin.
Weitsprung-Ass Christian Reif hatte das Pech, dass es bei seinem größten Erfolg keine offizielle Prämie gab: 2010 war er in Barcelona Europameister. Im vergangenen Jahr beendete er seine Karriere überraschend, dabei stand er mit 30 Jahren noch voll im Saft. Ihm ging es wie vielen Sportlern, mit denen sich der Olympia-13. von 2012 danach unterhalten hat: „Viele haben die Sorge, was danach kommt.“ Eine bessere finanzielle Absicherung hätte ihm - abgesehen von weniger Verletzungen - einiges erleichtert. Er habe ein „ganz gutes Polster“, aber natürlich nicht ausgesorgt. Derzeit absolviert er ein Traineeprogramm und wird künftig als regionaler Verkaufsleiter für Aldi-Filialen im Saarland verantwortlich sein. Diese berufliche Chance hat ihm den Abschied aus der Sandgrube erleichtert.
Cathleen Tschirch, die 2009 mit der deutschen 4 x 100-Meter-Staffel bei der WM in Berlin Bronze gewann, hatte „das Glück, sechs Jahre lang in der Sportfördergruppe der Bundeswehr zu sein“ und arbeitet heute als Landestrainerin in Mannheim. Die Dresdnerin hat „ganz viele positive Erinnerungen“ an ihre Laufbahn: die vielen Reisen, die vielen Menschen, die sie kennengelernt hat. Und: „Ich kann nicht sagen, dass ich am Hungertuch nagen musste.“ Sie habe „definitiv“ was zurücklegen können.
Aber Tschirch glaubt auch, „dass es in der Leichtathletik die Tendenz gibt, dass man weniger als in den 90- und 2000er Jahren verdient“. Das meint auch Tobias Unger. „Heute würde ich noch die Hälfte bekommen. Es ist deutlich schwieriger geworden“, sagt der Schwabe und warnt: „Die Leichtathletik muss schauen, dass sie nicht an den Rand gedrängt wird.“ Er hat sich von seinen Prämien- und Sponsorengeldern eine Wohnung in Kirchheim/Teck gekauft.
Es sei oft schwierig gewesen, Studium und Sport unter einen Hut zu bekommen, aber der Aufwand habe sich gelohnt: „Ich hatte eine superschöne Zeit.“ Bei den Sommerspielen 2004 in Athen und bei der WM 2005 in Helsinki war er Siebter über 200 Meter. Mit 20,20 Sekunden hält er immer noch den deutschen Rekord. Heute hat Unger „jeden Tag Spaß“ an seinem neuen Beruf: Athletiktrainer bei den U17- und U19-Fußballern des VfB Stuttgart, zudem trimmt er die Basketballer der Kirchheim Knights.
„Schnell rennen - und gewinnen“, das war auch Bastian Swillims' Berufung: „Ich würde diesen Weg wieder gehen“, sagt das einstige 400-Meter-Ass vom TV Wattenscheid. Ob sich Leichtathletik lohnt? „Klar“, meint auch Carsten Schlangen, 2010 Vize-Europameister über 1500 Meter und heute Architekt, „sonst hätte ich es nicht so lange gemacht.“