Bianchi-Unfall überschattet Hamiltons Sieg in Japan
Suzuka (dpa) - Die Formel 1 steht unter Schock: Der schwere Unfall des Franzosen Jules Bianchi beim chaotischen Regen-Rennen in Suzuka hat den Mercedes-Doppelerfolg in den Hintergrund gedrängt.
Drei Stunden nach dem Sieg von WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton vor Nico Rosberg und Sebastian Vettel teilte der Internationale Automobilverband FIA mit, dass Bianchi eine „schwere Kopfverletzung“ erlitten habe. Er wurde währenddessen im Mie-General-Krankenhaus operiert und soll danach auf der Intensivstation weiter behandelt werden.
Nach Berichten des französischen Fachblatts „L'Equipe“ soll Bianchi eine erste Operation gut überstanden haben. Der Rennfahrer müsse nach dem Eingriff zudem nicht mehr künstlich beatmet werden. Er könne jetzt wieder selbstständig atmen. Eine offizielle Bestätigung des Krankenhauses, seines Teams oder der FIA gab es dafür zunächst nicht.
„Wir machen uns alle große Sorgen“, sagte Hamilton. Trotz seines dritten Sieges in Serie, des achten in dieser Saison und der ausgebauten WM-Führung vor Silberpfeil-Rivale Rosberg war auch ihm nicht nach Feiern zumute. „Wir alle beten für ihn.“ Ob Hamilton, Rosberg, Vettel oder alle anderen im Fahrerlager: Die Beklemmung nach den schrecklichen Bildern vom Marussia-Rennwagen unter einem Bergungskran ließen keinen los. Das turbulente Rennen war kurz nach dem tragischen Unfall in der 46. von 53 Runden abgebrochenen worden.
Auf dem Siegerpodest und bei der Pressekonferenz herrschte eine beklemmende Stimmung. Rosberg sprach bedrückt von einer „sehr, sehr ernsten“ Situation. „Meine Gedanken sind bei ihm.“ Vettel wünschte dem sofort ins Krankenhaus transportierten Marussia-Kollegen „das Allerbeste“. Die Unwissenheit über Bianchis Zustand sei quälend. Teams und Fahrer bekundeten ihre große Betroffenheit. „Wir sind in Gedanken und mit unseren Gebeten bei Jules und seiner Familie“, lauteten mehrere Grußbotschaften.
Bianchi war mit seinem Marussia unter den Kran gekracht, der das Auto von Adrian Sutil bergen sollte. Der Sauber-Pilot aus Gräfelfing war eine Runde vorher an der gleichen Stelle wegen Aquaplanings von der Strecke abgekommen. „Ich denke, die Situation ist kritisch. Meine Gedanken sind bei ihm“, sagte Sutil sichtlich mitgenommen, Details zum Unfall des Kollegen wollte er nicht wiedergeben.
Auf Fotos war indes zu sehen, dass die linke Seite des Rennautos komplett zerstört war. Durch die Wucht des Aufpralls brach sogar der Überrollbügel. Das Fachmagazin „auto, motor und sport“ zitierte einen Augenzeugen: „Im Scheitelpunkt brach das Heck aus. Bianchi korrigierte, doch das Auto bekam einen Konter. Der Marussia rutschte quer in das Kiesbett, wo er zu springen begann. Damit wurde die Geschwindigkeit nicht verzögert.“ Wie das Blatt weiter berichtet, habe die Polizei das Wrack beschlagnahmt.
Die Rettungskräfte fuhren den bewusstlosen Bianchi direkt nach einer ersten Untersuchung an der Strecke mit Polizeieskorte in ein Krankenhaus in Tsu. „Jules ist in einem schlimmen Zustand. Er wird gerade notoperiert wegen eines Hämatoms im Kopf. Es wird 24 Stunden dauern, bis wir mehr wissen“, sagte Vater Philippe Bianchi dem französischen Sender France 3.
Ohne den tragischen Crash wäre es „nur“ ein völlig verrücktes, aber auch spektakuläres Rennen gewesen. Durch den Unfall wurde es zu einem dramatischen Tag, der noch länger für Diskussionen sorgen wird. Die Tatsache, dass für die Bergung von Sutils Wagen das Safety Car nicht erneut auf die Strecke geschickt wurde, warf zumindest Fragen auf.
Dabei war der 15. Saisonlauf bereits hinter dem Safety Car gestartet worden. Der strömende Regen ließ ein normales Rennen zu diesem Zeitpunkt nicht zu. Teile des 5,807 Kilometer langen Kurses standen unter Wasser. In der dritten Runde wurde der Grand Prix unterbrochen. Die Fahrer schwammen regelrecht auf der überschwemmten Strecke und es war zu gefährlich. 15 Minuten später ließ Rennleiter Charlie Whiting das Feld dann hinter dem Safety Car wieder auf die Strecke.
Mit der Zeit trocknete der Kurs vorübergehend ab und nach dem Ende der zweiten Safety-Car-Phase herrschte freie Fahrt. Rosberg, der sich tags zuvor die Pole Position gesichert hatte, konnte die Spitze gegen Hamilton verteidigen. Auch nach dem Wechsel von Regenreifen auf Intermediates blieb der einen Umlauf früher als der Brite an die Box abgebogene Deutsche vorn, büßte aber zunehmend seinen Vorsprung ein. Ab der 24. Runde machte Hamilton richtig Druck und schnappte sich den Widersacher mit einem tollen Manöver im 30. Umlauf. „Das ist Schadensbegrenzung“, meinte Rosberg. „Ich habe auf Lewis sieben Punkte verloren. Das ist im Rahmen.“
Vettel profitierte ungewollt von der Roten Flagge nach Bianchis verhängnisvollen Unfall und wurde Dritter. Laut Reglement ist für das Endergebnis der Stand zwei Runden zuvor entscheidend. Da lag er noch vor seinem Red-Bull-Teamkollegen Daniel Ricciardo. Aber auch ohne den „geschenkten“ Podestplatz fuhr der viermalige Weltmeister aus Heppenheim einen Tag nach Bekanntgabe seines Abschieds von Red Bull ein beherztes Rennen. Gegen das dominierende Mercedes-Duo hatte der viermalige Suzuka-Sieger aber keine Chance: „Die waren in einer anderen Liga“, urteilte Vettel.
Hamilton baute durch seinen achten Saisonerfolg die Führung in der WM-Wertung vor Rosberg aus. Der Brite liegt vor der Russland-Premiere am nächsten Sonntag in Sotschi mit 266 Punkten nun zehn Zähler vor Rosberg (256). Ricciardo (193) hat als Gesamtdritter nur noch minimale Chancen. Der WM-Vierte Vettel (139) kann angesichts von 127 Zählern Rückstand auf Hamilton seinen Titel nicht mehr verteidigen. In den ausstehenden vier Grand Prix sind maximal 125 Punkte möglich.
Nico Hülkenberg (Emmerich) blieb im Force-India zwar kurz vor Schluss liegen, wurde aber als Achter gewertet. Der ausgeschiedene Sutil blieb erneut ohne Punkte.
Aber all dies spielte in den Stunden nach dem Rennen keine Rolle mehr. Betrübt packten die Teams ihre Sachen, um sich sofort nach Sotschi aufzumachen. In erster Linie hofften alle aber auf gute Nachrichten vom verunglückten Kollegen Bianchi vor der Russland-Premiere.