Desaster Bahrain: Todts erste schwere Krise
Montreal (dpa) - Das umstrittene Formel-1-Rennen in Bahrain steht zum zweiten Mal in diesem Jahr vor dem Aus. Nach heftiger Kritik lenkte Automobil-Weltverbandschef Jean Todt ein und will nun doch noch einmal über die Neuansetzung des Grand Prix für den 30. Oktober entscheiden.
Der Franzose forderte Chefvermarkter Bernie Ecclestone in einem offenen Brief auf, den Beschluss vom vergangenen Freitag erneut zu überprüfen und dem Motorsport-Weltrat eine neuen Vorschlag zu unterbreiten. Damit könnte das wegen der blutigen Unruhen im Februar zunächst abgesagte Wüstenrennen erneut gestrichen werden.
Erst am 7. Juni hatte sich die Teamvereinigung FOTA gegen einen Bahrain-Grand-Prix in diesem Jahr ausgesprochen und die Verlegung des Indien-Debüts in den Dezember als „unrealistisch“ kritisiert. „Ich habe auf ihren in letzter Minute geäußerten Einspruch gehört“, schrieb Todt und versprach eine „konstruktive“ Debatte.
Die Bahrain-Farce ist seine erste schwere Krise als Chef des Internationalen Automobilverbands FIA. Das umstrittene Votum des Motorsport-Weltrats ist längst zum PR-Desaster geworden, Todt steckt tief in der Klemme. Die Rennställe, der mächtige Ecclestone, Politiker und Menschenrechtler haben sich gegen den FIA-Präsidenten gestellt. „Ob er durch die Bahrain-Frage tödlich verletzt wurde, wird die Zeit zeigen“, kommentierte der „Daily Telegraph“ bereits.
Inmitten des Sturms der Kritik macht Todt an diesem Wochenende einen Bogen um den Auftritt der Königsklasse beim Großen Preis von Kanada. Er kündigte stattdessen einen Besuch in Le Mans beim 24-Stunden-Klassiker an. Als Krisenmanager in der Bahrain-Frage hat sich der seit Herbst 2009 amtierende Verbandsboss schon jetzt miserable Noten eingehandelt.
Zunächst zögerte seine FIA den Beschluss über einen Nachholtermin immer weiter hinaus. Dann verließ sich Todt bei der Entscheidung des Motorsport-Weltrats auf einen zweifelhaften Bericht seines spanischen Sondergesandten Carlos Gracia, der die Lage im Golfstaat als stabil und ruhig bewertete. „Der spricht weder Englisch noch Arabisch“, spottete Todts Amtsvorgänger Max Mosley über den FIA-Beobachter.
Schließlich plauderte Todt noch aus, dass er bei der Abstimmung gar nicht wirklich die Handzeichen nachgezählt und einfach festgestellt habe, das Votum sei einstimmig gefallen. Prompt rückte Weltratsmitglied Ecclestone vom FIA-Beschluss ab. Dass die Entscheidung sogar ungültig sein könnte, weil entgegen des Paragraphen 66 im Sport-Regelwerk nicht alle Teams ihr Einverständnis erklärten, macht Todts Blamage perfekt. „Die Sache haben wohl scheinbar alle übersehen“, befand Jurist Mosley.
Dabei war es für Todt bislang doch so gut gelaufen. Der ehemalige Ferrari-Teamchef, dem Rekordweltmeister Michael Schumacher zum Dank für viele gemeinsame Triumphe als Wahlkampfhelfer diente, führte die Formel 1 nach Jahren voller Skandale in ruhigeres Fahrwasser. Nicht nur Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug lobte die „konstruktive Atmosphäre“. Der FIA-Präsident bemühte sich um Ausgleich, erhielt für seine Strukturänderungen viel Zuspruch und schob auch abseits der Formel-1-Glitzerwelt zahlreiche Projekte an.
Angesichts des vermeidbaren Bahrain-Debakels werden in diesen Tagen im Formel-1-Fahrerlager von Montreal Fragen nach Todts Motiven laut, nachdem der 65-Jährige hinter den Kulissen angeblich treibende Kraft für den Beschluss war. „Sport sollte sich nicht in Politik einmischen“, betonte Todt. Alex Wilks, Kampagnenchef des Menschenrechts-Netzwerks Avaaz, hingegen urteilte: „Das Geld hat über die Moral gesiegt.“