Finito: Das Ende der Ära Montezemolo bei Ferrari
Berlin (dpa) - Nur ein Titel in zehn Jahren, oft mehr Gespött als Maßstab der Formel 1, erst geschlagen vom einstigen Emporkömmling Red Bull, nun chancenlos gegen Mercedes: Die dauerhafte Ferrari-Krise in der Motorsport-Königsklasse hat Luca di Montezemolo den Präsidenten-Job gekostet.
Alle Rettungsversuche für den Rennstall, der als einziger seit WM-Beginn 1950 am Start steht, nützten dem 67-Jährigen nichts mehr, der den Posten seit 1991 innehatte. Montezemolo kündigte seinen Rücktritt für den 13. Oktober an.
Vorausgegangen waren Meinungsverschiedenheiten mit Fiat-Konzernchef Sergio Marchionne. Dabei ging es nicht nur um die sportliche Bilanz, sondern auch um die künftig stärkere Einbindung von Ferrari in den Fiat-Konzern. Marchionne werde den Sportwagenbauer nun selbst leiten und ihn in der Formel 1 wieder in die Erfolgsspur führen, hieß es in der Mitteilung weiter.
Erst wenige Tage zuvor hatte di Montezemolo einen seiner großen Auftritte beim Heimrennen in Monza gehabt. Umringt von zig Kameras und Journalisten hatte er betont: „Ich habe den Sturm der letzten Tage gesehen, ich fand es übertrieben. Ich bin hier, um zu arbeiten, heute, morgen, die kommenden Monate.“ Er habe erst im März seine Bereitschaft erklärt und sich dazu verpflichtet, drei weitere Jahre bei Ferrari zu bleiben.
Ob die Rückkehr von Kimi Räikkönen, dem bis dato letzten Weltmeister am Steuer der legendären Roten Göttinnen, vor dieser Saison oder das Aus des im Fahrerlager ebenso beliebten wie angesehenen Teamchefs Stefano Domenicali oder von Motorenchef Luca Marmorini - di Montezemolo versuchte zuletzt alles, dem Mythos Ferrari in der Formel 1 mit Erfolgen neues Leben einzuhauchen.
Nun wünscht er sich zumindest einen starken Saison-Endspurt der Scuderia. „Von Kimi Räikkönen erwarten wir ein starkes Finale. (Fernando) Alonso ist der stärkste Pilot im Feld“, sagte di Montezemolo auf einer Pressekonferenz in Maranello. Nachfolger Marchionne beteuerte indes, dass er seine künftige Ferrari-Präsidentschaft als „langfristiges“ Engagement sehe.
Ausgerechnet im Jahr der größten technischen Revolution der Formel 1 versagte Ferrari aber gemessen an seinen Ansprüchen. Nie war die Chance für die Hersteller größer: Motor bzw. die komplette hochkomplexe und hoch komplizierte Antriebseinheit sowie das Chassis konnten erstmals zusammen entwickelt und perfekt aufeinander abgestimmt werden - alles unter einem Dach. Mercedes gelang das mit Auszeichnung, Ferrari nicht.
In der Konstrukteurswertung rutschte der 16-malige Teamchampion nach dem peinlichen Auftritt beim Heimrennen in Monza mit dem vorzeitigen Aus für Fernando Alonso wegen eines technischen Defekts und dem ungenügenden neunten Rang für Räikkönen auf Platz vier ab. Überholt von Williams, dem britischen Privatteam, bei dem der einstige Ferrari-Wasserträger Felipe Massa mit 33 Jahren noch einmal regelrecht aufblüht.
In der Fahrerwertung ist Alonso Fünfter - mit 117 Punkten Rückstand auf WM-Spitzenreiter Nico Rosberg im Silberpfeil. Räikkönen hat unglaubliche 197 Zähler weniger als der Deutsche und ist Zehnter.
„Seit sechs Jahren gewinnen wir nicht mehr, wir haben die besten Piloten der Welt und es kann nicht sein, dass wir zwischen dem 7. und 13. Platz starten“, hatte Fiat-Chef Marchionne am Rande des Großen Preises von Italien verlauten lassen und damit die Entlassung von di Montezemolo schon mal vorbereitet. Auch wenn der zuletzt erst einen Dreijahresvertrag unterschrieben hatte und Kampfgeist zeigte.
Di Montezemolos wirtschaftliche Ergebnisse seien sehr gut, „aber im Fall von Ferrari muss man auch die sportlichen Ergebnisse berücksichtigen“, hatte Marchionne betont.
„La Gazzetta dello Sport“ schrieb später bewegt: „Das Erdbeben endet wie vorhergesehen: Die legendäre Nummer 1 des Pferdchens geht zum 13. Oktober.“ Der Automobil-Weltverbandsboss und frühere Ferrari-Teamchef Jean Todt bewertete die Trennung im „Corriere della Sera“ relativ nüchtern. „In der Autobranche enden und beginnen wie im Leben Zyklen. Es ist normal, dass es so ist“, sagte der Franzose. „Aber Ferrari ist nicht nur Formel 1, es ist auch eine Marke, die wunderschöne Autos herstellt.“
Noch mehr als bei allen anderen Teams ist die Formel 1 für die Edel-Sportwagenschmiede die große Marketing- und PR-Plattform. Umso ruhmreicher bleibt für di Montezemolo die Zeit mit Michael Schumacher in Erinnerung. Er hatte den Kerpener nach dessen zwei WM-Titeln im Benetton Renault zur Saison 1996 zur Scuderia geholt.
Di Montezemolo formierte zudem mit Todt als Teamchef und Ross Brawn als Technischer Direktor eine bis heute unerreicht erfolgreiche Mannschaft. 87 Rennsiege - von insgesamt 221 Grand-Prix-Erfolgen - holte Ferrari von 1996 bis einschließlich 2006, ehe Schumacher erstmals zurücktrat. Von 2000 bis Ende 2004 gewann Schumacher fünf Mal in Serie im Ferrari den WM-Titel. Es war die absolute Hochzeit der Rotkäppchen.
Di Montezemolo, der 1990 Cheforganisator der Fußball-WM in Italien war, hatte auch schon 1975 und 1977 an Niki Laudas beiden Titeln im Ferrari einen maßgeblichen Anteil - der rhetorisch grandiose Jurist, Studium in Rom und New York, war damals der jüngste Rennleiter in der Formel-1-Geschichte.
1973 hatte seine Karriere beim italienischen Autobauer als Assistent von Enzo Ferrari begonnen. Di Montezemolo gefiel sich stets auch öffentlich in der Rolle des Gegenspielers von Bernie Ecclestone - meist im Sinne des Geschäfts. 41 Jahre nach seinem Einstieg bei Ferrari ist die Ära des stets mit Stolz und Leidenschaft für die Marke aus Maranello kämpfenden Luca di Montezemolo vorbei. Zum Abschied schrieb er: „Ferrari ist das wundervollste Unternehmen auf der Welt.“