Die Liebe der Tifosi für ihre Scuderia Ferrari bekam Lewis Hamilton noch vor der Abreise nach Melbourne zur ersten großen Bewährungsprobe mit voller Wucht zu spüren. Zehntausende schmetterten bei der Teampräsentation in den Straßen Mailands inbrünstig und voller Sehnsucht die italienische Hymne. Wenn Leidenschaft auch zur Last werden kann.
Auch Hamilton staunt jeden Tag, auch er ist der roten Versuchung schon verfallen. Es sei so ein besonderes Gefühl, mit diesem Formel-1-Team zu arbeiten, betont er. Die Augen funkeln, die Mundwinkel zucken. „Du fühlst dich nicht wie auf der Arbeit, du willst gar nicht gehen.“
Die Frage ist nur: Macht es der Rekordweltmeister besser als die gescheiterten ehemaligen Champions Sebastian Vettel oder Fernando Alonso? Ab diesem Wochenende im fernen Australien gilt's!
Vettel kam mit vier WM-Titeln von Red Bull - und es klappte nicht mit einem weiteren. Vorher hatte auch Alonso, der einst die Ferrari-Ära von Michael Schumacher beendet hatte, seinen zwei Titeln keinen weiteren hinzufügen können. Hamilton will es besser machen.
„Ich denke nicht an Nummer acht. Ich denke daran, die erste WM mit Ferrari zu gewinnen“, sagt er. Der mittlerweile 40 Jahre alte siebenmalige Champion und 105-malige Grand-Prix-Sieger vertraut auf ein bewährtes Umfeld: Mit Ferraris Teamchef Frédéric Vasseur feierte er in den Nachwuchsserien bereits Erfolge. Zudem holte der Brite unter anderem seine ehemalige langjährige Fitnesstrainerin und Physiotherapeutin Angela Cullen zurück.
„Keine Zeit, sich zu sonnen“
Hamilton macht nicht weiter, wo er mit Mercedes aufgehört hat, denn das war zuletzt keine Erfolgsgeschichte mehr nach den sechs Titeln von 2014 bis 2020 (2016 gewann Teamkollege Nico Rosberg die WM). Er startet neu durch - so der Eindruck. Berauscht und beseelt wie praktisch alle, die mal zu Ferrari gingen, vom Mythos und der Besonderheit dieses Rennstalls.
Doch Achtung! „Diese Aura führt auch dazu, dass man sich ganz gerne mal in den Liegestuhl setzt und sich darin sonnt. Es ist aber keine Zeit, sich zu sonnen, sondern härteste Knochenarbeit“, sagt der ehemalige Ferrari-Pilot Gerhard Berger in einem Gespräch der Deutschen Presse-Agentur.
Der 65-Jährige fuhr insgesamt sechs Jahre für die Scuderia in den 1980er und 1990er Jahren, zum Titel reicht es nicht. Erfolge mit Ferrari seien doppelt so schwer wie mit jedem anderen Team, betont er.
Wenn Hamilton an diesem Donnerstag im Albert Park mitten in Melbourne ankommt, wird es wieder besonders laut. Wenn er das Fahrerlager zum ersten Mal an einem Grand-Prix-Wochenende als Fahrer der berühmten Scuderia Ferrari betritt, werden erst recht alle Kameras auf den Superstar der Motorsport-Königsklasse gerichtet sein.
Doch Hamilton wird auch liefern müssen. Und Norbert Haug, der ehemalige Mercedes-Motorsportchef, traut es ihm zu. „Gibt ihm Ferrari das dazu fähige Auto, halte ich Lewis bereits in seinem ersten Jahr für fähig, den WM-Titel zu gewinnen“, sagte Haug der Deutschen Presse-Agentur. Schließlich schrammte Hamilton in seinem ersten Jahr in der Formel 1 überhaupt auch nur knapp am Triumph vorbei - um einen Punkt.
Vorteil Leclerc?
Hamilton war damals der Neuling in der Formel 1, 18 Jahre später ist er der Neue im ältesten Team der Rennserie - seit 75 Jahren und damit dem WM-Beginn 1950 ist Ferrari dabei. Hamiltons neuer Kollege Charles Leclerc startet bereits in sein siebtes Ferrari-Jahr. Hamilton versucht es bereits hier und da auf Italienisch, Leclerc beherrscht die Sprache fließend.
Und der gebürtige Monegasse, 13 Jahre jünger als Hamilton, will ja eigentlich selbst die titellose Zeit der Scuderia beenden. Seit dem Glücks-Triumph 2007 von Kimi Räikkönen gewann kein Ferrari-Fahrer mehr den WM-Titel.
Hamilton ist aber Hamilton. Der erste Schwarze im Formel-1-Cockpit, der große Superstar über den Sport hinaus. „Man kann mich nicht mit einem anderen 40 Jahre alten Formel-1-Fahrer in der Geschichte vergleichen, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart. Sie sind nicht wie ich“, sagt er jüngst selbst über sich und andere im „Time“-Magazin.
Kein Karriereende beim achten Titel
Er würde mit einem weiteren Titel auch Michael Schumacher überholen und alleiniger Rekordweltmeister mit acht Weltmeisterschaften werden. Vorbei wäre es dann aber noch nicht: „Wenn ich das Glück hätte, einen weiteren Titel zu gewinnen, was wir natürlich anstreben, würde ich nicht aufhören.“
Klappt es aber nicht, könnte auch ein Hamilton neue Erfahrungen sammeln. „Ferrari-Fans kennen keine Gnade. Für die ist Ferrari das Wichtigste und nicht die Person, die im Auto sitzt“, sagt Ralf Schumacher. Der 49 Jahre alte Bruder von Michael Schumacher und selbst ehemaliger Formel-1-Pilot erklärt: „Wenn derjenige - aus welchen Gründen auch immer - nicht die Leistung bringt, kommt Kritik sehr schnell und sie wird sehr laut.“
Da ist sie wieder, die Wucht der Ferrari-Liebe, dich auch zur Last werden kann.
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