Vettel und Red Bull: Eine rasende Entfremdung

Sebastian Vettel und Red Bull — das sah wie Liebe aus, war aber doch ein Zweckbündnis, das ohne Erfolg zerfällt.

Sebastian Vettel schmerzt, dass Red Bull ihm kein konkurrenzfähiges Auto gestellt hat

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Sao Paulo. Noch zwei nervige Rennen, dann ist es endlich vorbei. Sebastian Vettel war selten ein überbordender Humorist, aber jetzt mag er schon gar nicht mehr. Selten lächelt er, stattdessen verteilt der 27-Jährige Rüffel oder winkt resigniert ab. Der Mann, der viermal in Folge Weltmeister mit Team Red Bull geworden war, hat den Glanz in seinen Augen verloren. Eine Saison als Quälerei, der Champion am Boden. Vier Podestplätze, kein Sieg. Einst unschlagbar, jetzt Hinterherfahrer. Und die Perspektive? Kaum Aussicht auf Besserung, selbst wenn sein nächster Arbeitgeber Ferrari heißt. In der Gegenwart sehnen alle das Ende herbei, geben sich allenfalls krampfhaft Mühe, die Trennung mit Anstand zu vollziehen. Früher schien das wie eine Liebe. Der österreichische Rennstall des Getränke-Herstellers Dietrich Mateschitz aus Fuschl, dessen Vertrauter, Berater Helmut Marko und Vettel — alles eins, alles pure Formel-1-Vormacht. Und jetzt? Unlängst, als Vettel in Suzuka signalisierte, Red Bull zu verlassen, ätzte eben jener Marko, man habe „nur zehn Minuten“ gebraucht, um dessen Nachfolger zu finden.

Vor dem Grand Prix in Brasilien am Sonntag (17 Uhr/RTL) ist vieles geklärt: Red Bull hat Daniil Kwjat zum Vettel-Nachfolger erklärt. Der Heppenheimer selbst geht zu Ferrari. Sagen darf er es noch nicht. Auch, weil sich Ferrari-Fahrer Fernando Alonso einen Spaß daraus macht, seinen sicheren Wechsel zu McLaren für sich zu behalten. Dabei lockt Honda den Spanier, angeblich mit der Aussicht auf 70 Millionen Euro für zwei Jahre.

Enttäuschte Liebe ist besonders schmerzhaft. Vettel schmerzt, dass Red Bull ihm kein konkurrenzfähiges Auto gestellt hat. „Man schickt mich an die Front, aber ich habe das Gefühl, einen Holzknüppel in der Hand zu haben“, lästerte er nach einem fünften Platz in Spa-Francorchamps. Teamgefährte Daniel Ricciardo feierte dort, in Belgien, seinen dritten Saisonsieg. Vettel hat nie gesiegt. Mehr Frust geht nicht. Die Übermacht von Mercedes, wo Vettels deutscher Konkurrent Nico Rosberg um den Titel mit Lewis Hamilton streitet, ist das eine. Dass sein dauergrinsender Gegenentwurf aus Australien aber einzig profitiert, wenn Mercedes doch mal schwächelt, ist die Höchststrafe für Teamgefährte Vettel. Der redet dann vom schlechten Auto oder Strategiefehlern des Teams. In 17 Rennen lag Vettel nur viermal vor Ricciardo. Der 25-Jährige aus Perth ist Red Bulls neue Nummer eins. Neue Designentwürfe oder Daten von Planungen für die neue Saison, heißt es, bekommt Vettel nicht mehr zu sehen.

Ob für Vettel bald alles besser wird? Nicht viel spricht dafür. Weil niemand sieht, dass die Gegner Mercedes im gerade angefangenen Zeitalter der Hybridmotoren schon 2015 wieder nahe rücken können. Wohl auch Ferrari nicht. Die Scuderia sammelte in der laufenden Serie mit den beiden hoch gehandelten Ex-Champions Alonso und Kimi Räikkönen nur gut halb so viele Punkte wie das Red-Bull-Duo. In der Konstrukteurs-Wertung liegt Ferrari vor dem 18. Saisonrennen nur auf Rang vier. Vettel und Alonso rangieren in der Fahrer-Weltmeisterschaft punktgleich auf Platz fünf. Das Urteil der Experten: Vettel droht, sportlich vom Regen in die Traufe kommen. Wobei der Druck bei Ferrari, das sich unter dem neuen Chef Sergio Marchionne runderneuert, ungleich größer sein wird als bei Red Bull: Der Mythos verpflichtet die Fahrer zum Siegen. Ein Gefühl, das Vettel schon lange nicht mehr erlebt hat.