Kehrseite des Erfolgs: Vettels Dominanz quält Formel 1
Yeongam/Berlin (dpa) - Die lange Reise nach Südkorea führt Sebastian Vettel zurück ins Zentrum einer unbequemen Debatte. Die jüngste Siegesserie des Formel-1-Weltmeisters hat die alte Diskussion wiederbelebt, wie viel Dominanz der Sport verträgt.
Auf dem Weg zu seinem vierten Titel nacheinander muss sich der Hesse plötzlich Pfiffe und Buhrufe gefallen lassen, weil sich so mancher Fan nach mehr Abwechslung und Spannung sehnt. „Die Leute fanden es langweilig, als Michael Schumacher immerzu gewonnen hat. Jetzt ist es dasselbe mit Sebastian. Das ist die Kehrseite des Erfolgs“, sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff.
Vor dem Grand-Prix-Wochenende in Yeongam stellt sich eigentlich nur noch die Frage, wann Vettel seinen nächsten WM-Triumph perfekt macht. Der große Nervenkitzel ist raus dem Titelrennen. Zuletzt in Singapur gewann der Red-Bull-Pilot mit 32,6 Sekunden Vorsprung - bei keinem seiner nun schon 33 Siege war der erst 26-Jährige der Konkurrenz weiter voraus. „Wenn andere die Eier in den Pool hängen lassen am frühen Freitag, arbeiten wir immer noch hart für ein starkes Rennen“, begründete Vettel seine Überlegenheit.
Eine Aussage, die ihn vor dem 14. der 19 Saisonläufe am Sonntag (8.00 Uhr MESZ/RTL und Sky) kaum beliebter im Fahrerlager machen dürfte. Niemand lässt sich gern einen Schlendrian vorwerfen, schon gar nicht im Hochgeschwindigkeitsbetrieb Formel 1. Dennoch: Die professionelle Anerkennung für ihre Leistung ist Vettel und Red Bull sicher.
„Natürlich ist es nicht wirklich aufregend, wenn ein Team und ein Fahrer für lange Zeit dominant sind. Aber ich liebe diesen Sport so sehr, weil man sich nicht selbst betrügen kann - es gibt eine Stoppuhr. Und die Stoppuhr sagt, dass sie im Moment den besten Job machen“, sagte Mercedes-Manager Wolff der Zeitung „Telegraph“.
Auch Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali, Silberpfeil-Star Lewis Hamilton und mehrere andere Kollegen nahmen Vettel gegen die Frustreaktion der Fans in Schutz. Alle aber hoffen, sich möglichst bald aus dem Klammergriff des Serien-Champions befreien zu können. Die unheimliche Perfektion des Deutschen erinnert verdächtig an seinen Kumpel Schumacher, der sich und sein Auto ebenfalls ans Limit trieb. „Vettel hat einen Mega-Ehrgeiz und das färbt auch auf sein Team ab“, stellte der dreimalige Weltmeister Niki Lauda fest.
2013 ist für Vettels Verfolger also abgehakt. Auch Ferrari hat bei 60 Punkten Rückstand für den WM-Zweiten Fernando Alonso die Entwicklung des aktuellen Rennwagens eingestellt. Jetzt ruht die Hoffnung auf der technischen Revolution in der kommenden Saison. Kann das neue Regelwerk Vettel stoppen? „Nächstes Jahr wird nicht unbedingt der beste Rennfahrer zum Champion, sondern das beste Auto holt den Titel“, urteilte Chefvermarkter Bernie Ecclestone.
Das allein aber spricht keineswegs für ein Ende von Vettels Übermacht. Neben seiner Steuerkunst kann sich der Heppenheimer schließlich auch 2014 auf das Konstrukteursgenie Adrian Newey bei Red Bull verlassen. Gerhard Berger, einst als Toro-Rosso-Mitbesitzer einer von Vettels Förderern, wagt deshalb eine steile Prognose: „Sebastian sucht kein Duell mehr mit Alonso oder mit Räikkönen. Den interessiert nur noch eines: die Rekorde des Michael Schumacher zu brechen - und ich glaube auch, dass er es schaffen wird.“