„Momentum schaffen“ Vettel-Attacke im Mercedes-Reich Russland
Sotschi (dpa) — Im Mercedes-Reich Russland will Sebastian Vettel Titelwidersacher Lewis Hamilton den nächsten Dämpfer versetzen — im ehemaligen Olympia-Park ist nur Dabeisein für den deutschen Formel-1-Spitzenreiter keine Alternative.
Vor einem Jahr schied er nach einem Crash schon in der ersten Runde aus, gewinnen konnte Vettel auf dem Sotschi Autodrom zwischen Schwarzem Meer und den massiven Bergen des Kaukasus noch nie. Das war bislang Mercedes-Sache.
Nach dem besten Ferrari-Saisonstart seit 2008 steigt trotz einer gewissen Zurückhaltung die Zuversicht beim 29 Jahren alten Heppenheimer mit jedem Rennen im Kampf gegen die Silberpfeile: „Hoffentlich helfen uns die Erfolge in den ersten Rennen, so ein Momentum zu schaffen, wie es diese Jungs in den vergangenen Jahren hatten.“
Dieses Momentum führte Mercedes bei allen drei bisherigen Auflagen des Großen Preises von Russland in der Winter-Olympiastadt von 2014 zum Sieg. Hamilton war 2014 und 2015 auf dem Weg zu seinen WM-Titeln zwei und drei in Sotschi nicht zu schlagen, in der vergangenen Saison nahm Nico Rosberg auf dem Weg zum ersten WM-Triumph die 25 Punkte aus Russland mit. „Die Pokale aus den Vorjahren bedeuten nicht, dass wir auch in diesem Jahr automatisch in Russland gewinnen werden. Schon gar nicht, wenn man einen so ernstzunehmenden Gegner wie wir mit Ferrari hat“, betont Mercedes-Teamchef Toto Wolff.
Die Formel 1 bekommt das Duell, das sie gebraucht hat — Vierfach-Weltmeister im Ferrari gegen Dreifach-Champion im Silberpfeil. Ein Kampf der PS-Giganten voller gegenseitigem Respekt, aber auch gnadenlos. Dass Wolff schon im dritten von 20 Rennen Neuzugang Valtteri Bottas zweimal per Teamorder zugunsten von Hamilton ausbremste, sagt einiges über dieses WM-Duell, in das der finnische Rosberg-Nachfolger eigentlich auch gern eingreifen würde.
Vor dem Rennen an diesem Sonntag (14.00 Uhr MESZ) hat Vettel mit 68 Punkten aber schon 30 mehr als Bottas auf Rang drei. Hamilton kommt auch dank der Teamorder-Rettungsaktion von Bahrain auf 61 Punkte. Beim Vettel-Sieg in Australien hatte Hamilton Platz zwei belegt, in China vor Vettel gewonnen, in Bahrain wieder Platz zwei hinter dem Deutschen eingefahren.
Das Problem von Mercedes: Der neue Rennwagen W08 nimmt die Reifen zu hart ran, je weicher die Mischung, umso dramatischer die Auswirkungen. Kommt Hitze dazu, fährt Ferrari vorneweg.
Nach dem extrem rauen Asphalt in der Wüste von Sakhir kommt es in Sotschi aber nicht ganz so schlimm: Die Temperaturen sollen nach bisherigen Prognosen bei 23 bis 24 Grad liegen. Und der Kurs sei eine glattere Strecke, die den Reifen weniger zusetze, betont Hamilton. Das verlängert die Haltbarkeit und vergrößert damit auch den strategischen Spielraum.
„Hoffentlich können wir dort auf die Pace unseres Autos vertrauen statt auf unsere Nutzung der Reifen“, sagt Hamilton. Der 32-Jährige, der nicht unbedingt als passionierter Tester gilt, ließ sich in der vergangenen Woche die Gelegenheit nicht nehmen, um bei den Proberunden nach dem Bahrain-Rennen selbst wichtige weitere Erkenntnisse über die Reifen zu sammeln.
Einen Vettel in WM-Form in einem bislang absolut WM-tauglichen Ferrari als Gegner zu haben, verlangt der Silberpfeil-Crew alles ab. Vorbei ist das reine Teamduell der vergangenen drei Jahre zwischen Hamilton und Rosberg. Was früher eine Frage der Reihenfolge der beiden auf den Plätzen eins und zwei war, ist nun die Herausforderung, überhaupt den Sieg zu schaffen.
„Die Plätze zwei und drei sind definitiv keine Katastrophe. Aber wenn du ein siegfähiges Auto und zwei siegfähige Fahrer hast und das nicht umsetzen kannst, schmerzt dich das - genau so sollte es auch sein“, sagt Teamchef Wolff rückblickend auf das Bahrain-Rennen. „Man muss aufpassen, nicht zu viel über diese Rückschläge nachzudenken.“ Denn Vettel wird im Zweikampf des 44-maligen Grand-Prix-Gewinners gegen den 54-maligen Rennsieger Hamilton auch in Russland jede Schwäche zu nutzen suchen.