Vettel mit Millimeter-Arbeit zum nächsten WM-Coup
Greater Noida (dpa) - Auf den letzten Metern zu Sebastian Vettels viertem WM-Titel tüftelt Design-Guru Adrian Newey schon längst am nächsten Sieg-Auto. Schon vor zwei Wochen beim GP von Japan fehlte der Mann mit der hohen Stirn und den noch höheren Ansprüchen am Kommandostand von Red Bull.
Der Tüftler brütet über dem neuen Wagen. Denn auf die Formel-1-Rennställe wartet 2014 mit der Rückkehr der Turbomotoren eine riesige Herausforderung. Und der Name Newey bürgt für Innovation und Erfolg. Ohne die Ideen des 54-Jährigen wären die Titel von Red Bull in Fahrer- und Konstrukteurswertung kaum möglich.
Newey ist ein Brite mit sanftem Blick. Fast unscheinbar bewegt er sich durch das Fahrerlager. Dabei ist Newey der Vater solch rassiger Motorsport-Schönheiten wie Hungry Heidi oder Kinky Kylie. Glitzer und Glamour sind jedoch nicht die Welt des Technik-Direktors.
„Aufmerksamkeit und Ruhm, oder wie auch immer man es nennen mag, sind sicher nicht meine Triebfedern“, erläuterte Newey einmal seine Motivation. „Ich kann noch in eine Kneipe oder ein Geschäft gehen, und niemand erkennt mich. Das gefällt mir schon ganz gut.“
Newey ist ein Feingeist in der Formel 1. Entwürfe skizziert er immer noch am Zeichenbrett. „Ich genieße Regeländerungen“, sagt der Mann aus Stratford-upon-Avon nahe Birmingham. „Sie erlauben Dir, Dich mit nichts anderem als einem leeren Blatt Papier zurückzulehnen und zu versuchen, die beste Lösung für diese Änderungen herauszuarbeiten.“
Vor den Geistesblitzen des Aerodynamik-Experten verneigen sich Red Bull und die Konkurrenz. „Wir fahren gegen Adrian Newey“, klagte Ferrari-Star Fernando Alonso ehrfürchtig in der Schlussphase der vergangenen Saison. „Was er erreicht hat, ist ziemlich phänomenal“, huldigt ihm Teamchef Christian Horner. Denn Neweys Ideen sichern bares Geld. Fahrer-Titel sorgen für das Prestige, Team-Championate bescheren die Millionen aus Bernie Ecclestones Geldtöpfen. „Er ist wohl der beste Designer der Formel 1“, bekräftigt Horner.
Widerrede wird es auch vor dem Grand Prix von Indien kaum geben. Zu lang ist die Liste an Erfolgen, die Newey im Zusammenspiel mit Piloten, Ingenieuren und Rennställen gewonnen hat. An acht Fahrer- und acht Teamtiteln war er maßgeblich beteiligt. Über Williams und McLaren heuerte der Wundertechniker 2006 bei Red Bull an. Ein dickes Millionen-Salär von Konzern-Boss Dietrich Mateschitz inklusive.
Von Reichtum konnte Newey anfangs nur träumen. Allerdings stieg er schon kurz nach dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Southampton University beim Fittipaldi-Formel-1-Team ein. Bei March wurde Newey erstmals Technischer Direktor, ehe er mit dem Sammeln von Trophäen loslegte. Eigenlob ist ihm aber fremd. „Er ist immer sehr ruhig, sehr konzentriert und hat ein exzellentes Technikverständnis“, beschreibt Newey zum Beispiel Vettel.
Wie nah Triumph und Tragik beieinander liegen können, weiß der Brite aus eigener Erfahrung. Der tödliche Unfall von Legende Ayrton Senna lässt ihn noch immer nicht los. Newey war Chefdesigner bei Williams, als der dreimalige Weltmeister wenige Monate nach seinem Wechsel von McLaren am 1. Mai 1994 in Imola verunglückte.
Niemand werde wissen, ob der Unfall durch einen Fahrfehler oder einen Lenksäulenschaden verursacht wurde, sagte Newey dem Sender BBC. „Ich glaube, eine der Sachen, die mich immer verfolgen werden, ist die Tatsache, dass er zu Williams kam, weil wir es geschafft hatten, in den drei Jahren vorher ein ordentliches Auto zu bauen.“
Erfolgreiche Rennwagen will Newey auch für Red Bull weiter entwickeln. Dafür braucht er Freiräume. „Wir sollten aufpassen, dass die Regeln den Erfindergeist nicht zu sehr einschränken. Das Schöne an der Formel 1 ist der Kampf Mensch gegen Mensch und Maschine gegen Maschine“, plädierte Newey vor Saisonbeginn im Fachmagazin „Auto, Motor und Sport“. Freie Fahrt für die Geistesblitze.