Wolff: „Performance darf nicht kannibalisiert werden“

Hockenheim (dpa) - Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff will seinen Formel-1-Piloten Nico Rosberg und Lewis Hamilton auch weiter ihre Freiräume zugestehen.

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Doch sowohl der WM-Spitzenreiter als auch sein britischer Stallrivale müssten ihre Privatinteressen dem Teamerfolg unterordnen, forderte Wolff im Interview der Nachrichtenagentur dpa vor dem zehnten Saisonlauf am Sonntag auf dem Hockenheimring. „Die Performance am Wochenende darf nicht kannibalisiert werden durch das Privatleben“, betonte der Österreicher.

Herr Wolff, spricht aus Ihrer Sicht etwas dagegen, dass die Silberpfeile auch in Hockenheim wieder ganz vorne stehen?

Toto Wolff: Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, die Frage ist nur, ob aus der Sicht der anderen Teams etwas dagegen spricht. Wir haben einen guten Lauf in dieser Saison, jedes Rennen ist aber für sich aufs Neue eine Herausforderung. Für jedes Wochenende muss man sich so vorbereiten, als hätte es diese Serie nicht gegeben.

Nico Rosberg wurde in Silverstone erstmals von der Technik komplett ausgebremst, Lewis Hamilton schon zweimal in der Saison - macht Ihnen die Zuverlässigkeit der Wagen Sorgen?

Wolff: Wir haben ein großes Qualitätsprogramm im Team, aber in diesem Jahr wurden wir das eine oder andere Mal auf dem falschen Fuß erwischt. Wir haben eine mechanische Haltbarkeit, die in diesem Jahr nicht auf dem Niveau des Vorjahres ist. Wenn man eine Weltmeisterschaft gewinnen will, muss man die Zuverlässigkeit im Griff haben. Natürlich ist der Speed das A und O, aber um als Erster durchs Ziel zu fahren, muss man erstmal ins Ziel kommen.

Sie haben selber viel Humor. Haben Sie über Hamiltons jüngste Sticheleien, Rosberg sei kein echter Deutscher, lachen können?

Wolff: Es war als Witz gedacht und wurde nicht so widergegeben, wie er es gemeint hatte. Insofern darf man das nicht so wichtig nehmen. Tatsache ist, dass die beiden gegeneinander um die Fahrer-Weltmeisterschaft kämpfen, und da wird es immer wieder zu Spannungssituationen kommen, die im Team weniger spektakulär sind als sie in der Öffentlichkeit dargestellt werden.

Hat Sie die Eigendynamik von Hamiltons Aussagen überrascht?

Wolff: Die Formel 1 hat medial eine unheimlich hohe Präsenz und das, was gesagt wird, selbst wenn es nur im Ansatz kontrovers klingt, wird multipliziert. Das kriegt eine Eigendynamik, die man nicht bremsen kann. Für uns ist wichtig, dass wir das intern sehr schnell und transparent besprechen. Das war dann auch schnell geklärt.

Beschäftigt Sie mehr der Zweikampf der beiden auf dem Asphalt oder das Duell abseits der Rennstrecke?

Wolff: Beide wissen, dass sie die Marke Mercedes repräsentieren, und dass man aus einem Tal der Tränen kommt. Dem wird alles untergeordnet. Natürlich habe beide Fahrer die Agenda, Fahrer-Weltmeister zu werden. Sie wissen aber ganz genau, dass das nicht zulasten des Teams gehen kann. Das respektieren sie auch. Im zwischenmenschlichen Bereich gibt es da überhaupt keine Probleme. Wir wissen, dass für jeden der beiden die Fahrer-Weltmeisterschaft das wichtige ist. Sie wissen wiederum, dass für die Mannschaft die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft das wichtige ist. Bis dato gab es keine Situation, die unsere Priorität, die Weltmeisterschaft, riskiert hätte. Das ist unser Kernbereich und nicht, ob sie sich zweimal schief angeschaut haben.

Wie ticken ihre Piloten?

Wolff: Lewis und Nico sind völlig unterschiedliche Persönlichkeiten. Wie in jeder Sportmannschaft oder jedem Unternehmen ist es wichtig, dass man seine Mitarbeiter kennt und weiß, welches Umfeld man ihnen zur Verfügung stellen muss, damit sie bestmöglich funktionieren. Man kann kein Schema F über sie stülpen. Die beiden führen unterschiedliche Leben und die beiden haben unterschiedliche Herangehensweisen an ihren Beruf. Das eine ist nicht schlechter als das andere.

Ist es besonders schwierig, das Verhältnis der beiden an den Rennwochenenden im Griff zu haben?

Wolff: Wir wollen beide ihr Leben leben lassen, wie sie empfinden, dass das Leben für sie richtig ist und ihnen auch Spaß macht. Wir haben aber auch ein gemeinsames Leben, und dieses beginnt am Donnerstag auf der Rennstrecke und von da an muss es funktionieren. Die Performance am Wochenende darf nicht kannibalisiert werden durch das Privatleben, und am Sonntagabend ist die Sache wieder vorbei.

Ist Hamilton nach seinem Sieg in Silverstone nun im Vorteil?

Wolff: Beide sind mental unglaublich stark. Jedes Mal, wenn wir darüber sprechen, dass einer der beiden das Momentum auf seiner Seite hat, dann schlägt der andere zurück. Daher ist es schwierig, ein Muster zu sehen.

Titel wirken in der Regel entfesselnd. Bei wem von beiden könnte die Fahrer-WM mehr Kräfte freisetzen?

Wolff: Ich bin davon überzeugt, dass ein WM-Titel bei beiden Fahrern große Kräfte freisetzen würde. Für Nico wäre es der erste und damit eine Bestätigung, dass er zu den weltbesten Fahrern gehört. Bei Lewis wäre es eine Bestätigung, dass der Titel 2008 nicht aus dem Nichts kam.

Mercedes hat nun wieder ein Heimrennen vor der Brust. Sind die Silberpfeile ein Multi-Kulti-Rennstall?

Wolff:Wir sind Multi-Kulti, weil wir eine globale Marke sind. Wir wissen aber ganz genau, wo unsere Wurzeln sind und das ist Stuttgart. Wir sind ein deutsches Team und wir sind Mercedes-Benz. Das lässt sich nicht abstreiten. Wir sind eine Mannschaft mit verschiedenen Vorgeschichten, das ist ganz ähnlich wie bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Wir sind daher mit Sicherheit eine Multi-Kulti-Truppe, arbeiten aber für Mercedes.

ZUR PERSON: Toto Wolff (42) ist seit Januar 2013 Motorsportchef bei Mercedes. Der Österreicher wurde damals Nachfolger von Norbert Haug. Wolff ist mit der Rennfahrerin Susie Stoddart verheiratet. Beide leben in der Schweiz in der Nähe von Konstanz.