Pistorius unter Mordverdacht: Südafrika geschockt
Johannesburg (dpa) - Südafrika ist schockiert: Ein Idol des Landes, der Olympia-Star Oscar Pistorius, steht unter Mordverdacht. Das amerikanische Magazin „Time“ zählt den Athleten aktuell zu einem der 100 einflussreichsten Menschen in der Welt.
Im Zentrum einer tödlichen Tragödie steht ein Mann, der für ganz Südafrika als ein Muster an Disziplin, Fleiß und Ehrgeiz galt. Fassungslos reagierten seine Fans nach den ersten Berichten über den Mordvorwurf. „Oscar wir beten für Dich, Du bist nicht alleine, bleib stark“, schrieb beispielsweise eine Anhängerin auf Pistorius' Facebookseite. Die Fernsehsender Südafrikas berichteten fast ununterbrochen über den spektakulären Fall.
Pistorius war immer ein großer Kämpfer, sei es als Sportler, sei es im Streit gegen den Leichtathletikweltverband, der ihm zunächst einen Start gegen nichtbehinderte Sportler verweigern wollte. Nun steht Pistorius vor dem größten Kampf seines Lebens. Südafrika muss sich vermutlich auf einen spektakulären Prozess vorbereiten. Denn die Polizei scheint sich sicher, dass er seine Freundin Reeva Steenkamp erschossen hat.
Auch wenn sich die Behörden noch sehr bedeckt hielten, scheint es kaum einen Zweifel am Tathergang zu geben: Das 30-jährige Starmodell wurde in den frühen Morgenstunden des Donnerstags in Pistorius' Haus in Pretoria von mehreren Schüssen tödlich getroffen. Nachbarn berichteten, sie hätten zuvor eine lautstarke Auseinandersetzung im Haus des sechsmaligen Paralympics-Sieger mitbekommen, der weltweit als Blade Runner bekannt war.
Für die Polizei steht Pistorius, der im Sommer 2012 als erster beidseitig amputierter Sportler auf Hightech-Karbon-Prothesen bei Olympischen Spielen startete, unter dringendem Mordverdacht. „Völlig überrascht“ seien die Beamten gewesen, so die Polizeisprecherin Denise Beukes, als erste Medienberichte in Südafrika von „versehentlichen Schüssen gegen einen vermeintlichen Einbrecher“ sprachen. Es habe keine Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen in das Gebäude gegeben. Pistorius war der einzige, den die Beamten am Tatort neben dem Opfer fanden. Auch die mutmaßliche Tatwaffe, eine Pistole vom Kaliber 9 Millimeter, wurde sichergestellt.
Der 26 Jahre alte Profisportler lebte wie viele wohlhabende Südafrikaner hinter hohen Mauern und unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Geschützte Luxus-Siedlungen wie das „Silverwoods Country Estate“ sind eine Reaktion auf die beängstigend hohe Kriminalität in Südafrika. Die Mordrate ist etwa 20- bis 30-fach so hoch wie in Deutschland. Kriminelle gelten in Südafrika als besonders gewaltbereit. Oft werden bei Einbrüchen nicht nur Wertgegenstände gestohlen, sondern auch die Einwohner schwer misshandelt oder gar getötet. Dabei spielen Schusswaffen eine untergeordnete Rolle - die Verbrecher bevorzugen oft Messer, Stichwaffen und Macheten. Eine öffentliche Diskussion über Waffenbesitz wie in den USA gibt es aber in dieser Form nicht.
Das Opfer des mutmaßlichen Mordes im Haus von Pistorius war in Südafrika ein durch Fernsehshows und Werbespots bekanntes Gesicht. Die 30-Jährige hatte noch am Tag vor ihrem Tod getwittert, wie sehr sie sich auf den Valentinstag freue: „Es sollte für jeden ein Tag der Liebe sein“, schrieb sie. Das Model, das auch ein Jurastudium abgeschlossen hat, stand kurz vor einem neuen Höhepunkt seiner Fernsehkarriere: Steenkamp war eine von sieben Prominenten, die bei der südafrikanischen Variante von „Ich bin ein Star - holt mich hier raus“ antraten. Die erste Episode der Realityshow „Tropika Island of Treasure“ sollte am Samstag im Fernsehsender SABC ausgestrahlt werden.
Das Drama um Pistorius hat auch politische Bedeutung: Am Donnerstagabend wollte Präsident Jacob Zuma seine Rede zur Lage der Nation halten. Traditionell ist diese Ansprache bei der feierlichen Eröffnung der Parlamentssaison in Kapstadt eines der wichtigsten Daten im politischen Jahr. Wie der amerikanische Präsident bei dem gleichen Anlass in Washington zieht auch das südafrikanische Staatsoberhaupt eine Zwischenbilanz seiner Amtszeit und skizziert die Schwerpunkte seiner künftigen Politik. Nun wird Pistorius am Freitag die Schlagzeilen beherrschen - und nicht der Präsident.