102. Tour: Vierkampf, Martin-Traum und Armstrong-Comeback

Utrecht (dpa) - Die 102. Tour de France startet am Samstag im niederländischen Utrecht. Zum Auftakt winkt dem dreimaligen Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin das Gelbe Trikot.

Foto: dpa

Wie in den vergangenen beiden Jahren wollen die deutschen Radprofis wieder reichlich Etappensiege einfahren, auch wenn Topsprinter Marcel Kittel wegen Formschwäche nicht nominiert worden ist. Im Kampf um den Gesamtsieg konzentriert sich dagegen alles auf die „Großen Vier“ Vincenzo Nibali, Christopher Froome, Alberto Contador und Nairo Quintana.

FAVORITEN: Der Kampf um den Gesamtsieg verspricht Spannung wie schon lange nicht mehr. Schließlich kommt es zum Aufeinandertreffen der „Großen Vier“. Vorjahressieger Vincenzo Nibali (Italien), 2013-Champion Christopher Froome (Großbritannien), Giro-Triumphator Alberto Contador und Kletterspezialist Nairo Quintana (Kolumbien) sind die Topfavoriten auf den Gesamtsieg. Eine derart ausgeglichene Favoritengruppe hatte es schon seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Noch im vergangenen Jahr herrschte die große Langeweile, als Nibali nach dem verletzungsbedingten Ausstieg seiner Rivalen Froome (Handgelenkbruch) und Contador (Schienbeinbruch) konkurrenzlos zum Sieg gefahren war.

SPRINTER: In den vergangenen beiden Jahren war Marcel Kittel mit jeweils vier Siegen der überragende Mann auf den Flachetappen. Bei der diesjährigen Auflage fehlt der Thüringer wegen Formschwäche. Das könnte die große Chance für Mark Cavendish sein. Der Brite, der schon 25 Tour-Etappen gewinnen konnte, präsentiert sich in dieser Saison in starker Verfassung. Seine größten Rivalen dürften der Rostocker André Greipel, Flandern-Sieger Alexander Kristoff und der Franzose Nacer Bouhanni sein. Auch Peter Sagan und John Degenkolb dürften eine Rolle spielen, vor allem wenn das Profil anspruchsvoller wird. Sagan und Degenkolb zählen auch zu den ersten Kandidaten auf das Grüne Trikot des Punktbesten.

DEUTSCHE: Erstmals seit 2008 stehen mit Giant-Alpecin und Bora-Argon wieder zwei deutsche Teams bei der Tour am Start. Dies ist auch der Lohn für die guten Leistungen der deutschen Fahrer in der Vergangenheit. 13 Etappensiege fuhren Marcel Kittel und Co. in den vergangenen beiden Jahren heraus, dazu trug Kittel zwei Tage lang das Gelbe Trikot. In diesem Jahr hat der dreimalige Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin in seiner Spezialdisziplin zum Auftakt beste Chancen auf den ersten Sieg und das erste Gelbe Trikot. Greipel und Degenkolb hoffen auf Etappensiege bei den Sprint-Ankünften. Dazu könnten Fahrer aus der zweiten Reihe wie Simon Geschke mal für eine Überraschung sorgen.

FRANZOSEN: Der letzte französische Toursieg durch Bernard Hinault jährt sich zum 30. Mal. Dabei wird es wohl bleiben, wie der fünfmalige Toursieger selbst sagt. Trotzdem gibt es wieder Hoffnung, dass die Durststrecke in naher Zukunft endet. Insbesondere die junge Garde um Thibaut Pinot (25) und Romain Bardet (24) - im vergangenen Jahr immerhin Dritter und Sechster - hat sich in den Vordergrund gefahren. Dazu hatte 2014 Jean-Christophe Péraud den zweiten Gesamtplatz belegt. Mit 38 Jahren läuft die Zeit aber gegen ihn.

STRECKE: 3360 Kilometer warten auf die Fahrer auf dem Weg von Utrecht nach Paris. Die Tour beginnt mit einem 13,8 Kilometer langen Zeitfahren und ermöglicht damit Spezialisten wie Martin oder Fabian Cancellara die Chance auf das erste Gelbe Trikot. Danach gibt es aber nur noch ein Mannschaftszeitfahren (28). So wenige Kilometer im Kampf gegen die Uhr hatte es seit der Einführung 1934 nicht mehr gegeben. Die Tour wird in den Bergen entschieden. Sieben Hochgebirgsetappen stehen auf dem Plan. Höhepunkt ist die vorletzte Etappe, die im Radsport-Mekka L'Alpe d'Huez endet. Aber auch die erste Woche hat gerade für die Klassikerjäger einiges zu bieten, wie etwa die Etappenankünfte an der Mur von Huy und der Mur de Bretagne oder der Kopfsteinpflaster-Parcours auf dem Weg nach Cambrai.

GASTSPIEL: Zum sechsten Mal wird die Tour de France in den Niederlanden gestartet. Das „Land der Radfahrer“ ist bei den Organisatoren sehr beliebt. Erst vor fünf Jahren war der Startschuss in Rotterdam erfolgt. Außerdem hatten Amsterdam (1954), Scheveningen (1973), Leiden (1978) und 's-Hertogenbosch (1996) den Grand Depart ausgerichtet. Im nächsten Jahr gastiert dann der Giro d'Italia in den Niederlanden, wenn es in Apeldoorn losgeht.

TV: Nach dreijähriger Sendepause gibt die ARD dem einstigen Skandalrennen wieder eine Bewährungschance. Der öffentlich-rechtliche Sender, der wegen der nicht enden wollenden Dopingskandale ausgestiegen war, hat mit der Organisation ASO erst einmal einen Vertrag für zwei Jahre abgeschlossen. Das ZDF ist dagegen nicht dabei. So umfangreich wie zu Jan Ullrichs Zeiten ist die Berichterstattung der ARD aber nicht, im Schnitt zwei Stunden pro Tag sind eingeplant. Größeren Raum erhält die Frankreich-Rundfahrt dagegen wie gewohnt beim Spartensender Eurosport.

DOPING: In den vergangenen Jahren ist die Tour skandalfrei geblieben, trotzdem bleiben die Experten skeptisch. Viele Mittel seien nicht nachweisbar, auch werde verstärkt mit Mikrodosierungen gedopt. Dass der Radsport nach wie vor nicht den besten Ruf hat, liegt auch an Teams wie Astana. Nach fünf Dopingfällen im kasachischen Team zum Ende des Jahres 2014 wollte der Weltverband einen Lizenzentzug für die Mannschaft um Toursieger Vincenzo Nibali erwirken - ohne Erfolg. Die Lizenzkommission ordnete nur verschärfte Auflagen an. Dass das Doping-Thema nicht in Vergessenheit gerät, dafür sorgt auch die Anwesenheit des früheren Hochleistungsdopers Lance Armstrong. Der Texaner nimmt an einer Charity-Veranstaltung teil und fährt an der Seite von Ex-Fußballer Geoff Thomas zwei Etappen ab, um Geld für die Krebsstiftung einzusammeln.