Nach Trainingssturz Bahnrad-Olympiasiegerin Vogel querschnittsgelähmt

Berlin (dpa) - Die schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden, die weltbeste Bahnradsportlerin Kristina Vogel ist querschnittsgelähmt.

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Gut zehn Wochen nach dem fürchterlichen Trainingsunfall auf der Betonbahn in Cottbus hat die 27-Jährige ihre schwere Verletzung publik gemacht. „Es ist scheiße, das kann man nicht anders sagen. Egal wie man es verpackt, ich kann nicht mehr laufen“, sagt die 27-Jährige im Interview des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“.

Die zweimalige Olympiasiegerin und elfmalige Weltmeisterin hatte die folgenschwere Verletzung am 26. Juni bei einem Trainingssturz auf der Radrennbahn in Cottbus erlitten. Mit Tempo 60 war sie in einen niederländischen Nachwuchsfahrer gerauscht. Schon auf der Bahn war ihr die Schwere der Verletzung bewusst geworden, als sie in den Beinen nichts mehr gespürt habe. „Da war mir sofort klar, das war's. Jetzt bin ich querschnittgelähmt, das mit dem Laufen wird nichts mehr“, berichtet Vogel von ihren ersten Erinnerungen an den Unfall.

Was folgte, waren mehrere Operationen im Unfall-Krankenhaus Berlin-Marzahn, dazu eine heftige Lungenentzündung, mehrfach wurde sie ins künstliche Koma versetzt. „Ich hatte Schmerzen, dafür gibt es keine Worte“, erinnert sich Vogel, deren Rückenmark ab dem siebten Brustwirbel durchtrennt ist. „Auf den ersten Röntgenbildern sieht meine Wirbelsäule aus wie ein Ikea-Klapptisch“, sagt die Erfurterin gar scherzhaft. Aufgeben war aber keine Option für sie: „Ich dachte zwischendrin wirklich, dass ich sterbe. Aber ich habe mir gesagt: Ich darf hier jetzt nicht loslassen.“

Dem deutschen Bahnradsport-Team wird Vogel fehlen - nicht nur als Ausnahmeathletin und Medaillengarantin, sondern auch als Stimmungskanone, die immer einen fröhlichen Spruch auf den Lippen hatte. Lockerheit, die ihr sogar nach dem Schicksalsschlag nicht verloren gegangen ist. „Jetzt bin ich so weit, dass ich sagen kann: Hier bin ich, und mir geht es gut. Ich bin noch da und immer noch dieselbe verrückte Nudel“, sagt Vogel, die Motivation für andere sein möchte. „Egal, was das Schicksal für einen bereithält, das Leben geht weiter, in meinem Fall nun auf vier Rollen statt auf zwei Rädern. Meine Arme sind jetzt halt auch meine Beine.“ Die Frage „Warum ich?“ bringe sie nicht weiter.

Rudolf Scharping zollte als Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer Vogel für ihren Lebensmut allergrößten Respekt. Das Interview zeige, was für ein wundervoller Mensch Kristina Vogel sei. „Der Bund Deutscher Radfahrer wird sie uneingeschränkt und mit ganzer Kraft unterstützen“, sagt Scharping und Sportdirektor Patrick Moster fügt hinzu: „Der Verband wird Kristina Vogel jede Hilfe zukommen lassen, die sie jetzt braucht.“

Ihr engster Kreis war bereits seit längerer Zeit eingeweiht, dazu gehörte auch Miriam Welte, mit der Vogel 2012 Gold im Teamsprint in London gewonnen hatte: „Wir hatten schon einige Wochen Zeit, die Diagnose zu verarbeiten und uns an den Gedanken, Kristina im Rollstuhl zu sehen, zu gewöhnen. Das war extrem schwer“, sagte Welte. Sie habe aber den Eindruck, dass sie die Situation gut angenommen habe.

Ihr Chemnitzer Erdgas-Team hatte nach dem Unfall eine Spendenaktion unter dem Motto #staystrongkristina ins Leben gerufen, bei der bereits rund 120 000 Euro zusammengekommen sind. Das Geld wird ihrer Familie - Vogel ist mit dem früheren Bahnrad-Europameister Michael Seidenbecher liiert - zur Verfügung gestellt. Vogel ist überwältigt von der Unterstützung: „Als ich dann aber verstanden habe, was da draußen passiert — der Hammer. Zu merken, wie wichtig man für die Leute ist, wie viel Anteil sie genommen haben.“ Das Geld könne sie gut gebrauchen, für ein Spezialauto etwa oder „einen geilen Rollstuhl mit Carbonfelgen“.

Es war nicht der erste schlimme Unfall für Vogel, bereits 2009 hatte sie einen schlimmen Trainingssturz. Der damals 18-Jährigen hatte ein Kleinbus die Vorfahrt genommen. Vogel flog mit Tempo 50 durch die Heckscheibe, lag zwei Tage im Koma, erlitt zahlreiche Brüche am Brustwirbel, an der Hand, am Arm, am Kiefer und verlor fast alle Zähne. Es folgten unzählige Operationen und Reha-Maßnahmen. Noch heute sind die Narben in ihrem Gesicht zu sehen. „Eigentlich hätte ich da schon querschnittgelähmt sein müssen, denn mein fünfter Brustwirbel war gebrochen“, sagt Vogel rückblickend.

Noch liegt sie weiter im Krankenhaus. Ihr Ziel ist es, bis Ende des Jahres wieder nach Hause zu kommen. Und dann? „Ich hatte mein ganzes Leben lang Fünfjahrespläne. Zum ersten Mal habe ich keinen“, berichtet die Kämpferin. Ihr Arbeitgeber, die Bundespolizei, habe ihr verschiedene Optionen aufgezeigt, was ich mit ihrer Lähmung noch leisten könne. „Streife laufen mit Waffe geht jetzt ja nicht mehr.“

Ob der paralympische Sport eine Option ist, lässt Vogel offen. „Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder in den Leistungssport will und, wenn ja, in welche Disziplin.“ Sie müsse jetzt erst mal ihre Lähmung verstehen. „Ich weiß auch nicht, was ich später mal machen will“, sagt Vogel. Doch ihr Teamchef und Ex-Weltmeister Michael Hübner ist sich sicher: „Ich habe sie charakterlich als Menschen kennen gelernt, der nie aufgeben wird. Sie wird zurückkommen — das Thema Paralympics ist noch nicht durch, da bin ich mir sicher.“