Cancellara zurück im Rampenlicht
Oudenaarde (dpa) - Fabian Cancellara richtete nach seinem eindrucksvollen Triumph eine Art Entschuldigung an das belgische Publikum.
„Das ist nicht das, was sich Flandern zu Ostern gewünscht hat. Ich hoffe, die Leute sind trotzdem mit meinem Sieg zufrieden“, sagte Cancellara, dessen Gedanken nach seinem zweiten Sieg bei der Flandern-Rundfahrt auch bei seinem gestürzten Rivalen Tom Boonen waren. „Das hat er nicht verdient. Ich wünsche ihm eine schnelle Genesung und dass wir uns schnell wiedersehen.“
Der viermalige Zeitfahr-Weltmeister aus der Schweiz sprach aus eigener - schmerzlicher - Erfahrung. Denn Geschichte wiederholte sich bei diesem zweiten großen Klassiker der Saison - im umgekehrten Sinn. Vor Jahresfrist war es Cancellara, der auf dem harten Asphalt Flanderns gelegen hatte. Über eine Trinkflasche war er damals zu Fall gekommen und hatte einen dreifachen Schlüsselbeinbruch erlitten. Boonen gewann das Rennen.
Für Cancellara war es der Anfang des vielleicht bittersten Jahres seiner Karriere. Bei den Olympischen Spielen in London folgte der nächste schwere Sturz. Cancellara beendete daraufhin im August die Saison, mit vielen Zweifeln und Wunden. So wirkte er wie von einer großen Last befreit, als er direkt hinter dem Zielstrich seiner Frau Stefanie in die Arme fiel und lange drückte. „Ich war in den letzten fünf Monaten nur zehn Tage zu Hause. Das ist hart für die Familie. Als Radsportler muss man soviel entbehren. Radsport ist nicht vergleichbar mit Fußball, wo du 90 Minuten spielst und es schmerzt ein wenig. Das sind hier 250 Kilometer, wir gehen regelmäßig über das Limit“, ergänzte der Schweizer nach der Zitterpartie mit Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt.
Zuvor hatte er der gesamten Konkurrenz eine eindrucksvolle Lehrstunde erteilt. Am Oude Kwaremont, dem vorletzten von 17 giftigen Anstiegen („Hellingen“) hatte er so stark in die Pedale getreten, dass nur noch der slowakische Youngster Peter Sagan mit viel Mühe sein Hinterrad halten konnte. Kurz darauf versetzte Cancellara dann auch dem dreimaligen Tour-Etappengewinner sowie dem eingeholten belgischen Ausreißer Jurgen Roelandts den K.o.-Schlag und fuhr nach 256,2 Kilometern als Solist ins Ziel.
Die Konkurrenz wie der neuntplatzierte Thüringer John Degenkolb war mächtig beeindruckt. „Das war Wahnsinn, richtig stark. Ich hatte keine Chance, da mitzufahren“, sagte Degenkolb der Nachrichtenagentur dpa und fügte hinzu: „Es sieht so aus, dass er wieder der überragende Mann des Frühjahrs ist. Ich gönne es ihm. Er hat es verdient.“ Und der Deutsch-Australier Heinrich Haussler, der Sechster wurde, fand es einfach „nur krass“, wie Cancellara dem Rest davongezogen war. „Das kann man nur, wenn man Cancellara heißt“.
Vermutlich hätte auch Boonen nicht die nötigen Beine gehabt, um diesem unwiderstehlichen Antritt zu folgen. Für den „Flandern-König“, der mit einem vierten Sieg zum alleinigen Rekordgewinner aufgestiegen wäre, war das Rennen bereits nach 19 Kilometern vorbei. Prellungen und Schürfwunden an der linken Hüfte, am linken Ellbogen und am rechten Knie hatte er erlitten. Laut Teamchef Patrick Lefevere kommt ein Einsatz bei Paris-Roubaix in der nächsten Woche nicht infrage. Aber dass in der „Hölle des Nordens“ irgendein anderer Fahrer als Cancellara, der das Rennen schon zweimal gewann, triumphieren wird, ist nach dieser Leistung des Berners ohnehin kaum vorstellbar.