Die Leiden des Mark Cavendish - Retter Eisel
Serre-Chevalier (dpa) - Ohne seinen treuen Teamgefährten Bernhard Eisel wäre Sprint-König Mark Cavendish in den Bergen wohl verloren. Die beiden hängen zusammen wie die Kletten. Cavendish weiß, was er an seinem österreichischen Dauerbegleiter hat.
Tief gebückt und mit schmerzverzerrtem Gesicht kämpft sich Mark Cavendish die Berge hoch, stets aufs Neue gequält von den steilen Rampen der Alpen und Pyrenäen. Als die flinken Kletterer auf dem Galibier schon wieder bei Puste waren und Interviews gaben, war die Tortur für Cavendish noch lange nicht beendet. Erst 35:48 Minuten nach Tagessieger Andy Schleck rollte der Brite ins Ziel auf dem legendären Pass.
In der Ebene der Tour de France der große Dominator - am Berg ganz klein: Keiner scheint im Hochgebirge mehr zu leiden als der oft großmäulige Sprinter-König von der Isle of Man. Und keiner kann sich so blind auf einen Teamkollegen wie Bernhard Eisel verlassen, ohne den der viermalige Etappensieger wohl nicht mehr bei der Tour dabei wäre - und der auch auf dem Weg zum Galibier an seiner Seite fuhr.
Seit Jahren versucht der österreichische Radprofi bei Bergetappen der Tour Cavendish irgendwie ins Ziel zu bringen. Eigene Ansprüche stellt der 30-Jährige hinten an. „Auch wenn Bernie viel weiter vorn im Feld ankommen könnte, macht er das gerne für Cav“, lobt HTC- Highroad-Teamchef Rolf Aldag. Den Ex-Profi bereitet die Etappe am Freitag nach L'Alpe d'Huez über nur 109,5 Kilometer Sorgen - bei keinem anderen Teilstück ist die Gefahr für Cavendish größer, mit zu großem Rückstand und außerhalb der Karenzzeit ins Ziel zu kommen.
„Meine Aufgabe ist klar“, sagt Eisel - er macht die Drecksarbeit für Cavendish. Übrigens nicht nur bei den Anstiegen, denn auch bei den Sprints ist der Klagenfurter im genialen HTC-„Zug“ eingespannt. Mehr Sorgen bereiten aber freilich die Berge der Tour, vor allem jene in den Alpen, wenn alle Fahrer bereits knapp drei Wochen Schinderei in den Beinen haben. „Paris ist nicht weit weg, aber bei einem schwachen Moment kann schon alles vorbei sein“, meint Eisel.
Legendär und in Cavendishs Biografie „Boy Racer“ verewigt ist die Pyrenäen-Etappe 2008 von Pau nach Hautacam, als der Brite von einem Sturz geschwächt kurz vor der Aufgabe stand. Aber Eisel redete auf seinen Teamkollegen ein, beschimpfte ihn, trieb ihn Meter um Meter die Anstiege hoch - und hatte Erfolg: Das Duo kämpfte sich ins Ziel.
Dass der Ton zwischen den beiden auf den Etappen schon mal rauer wird, ist unvermeidlich. Eisel achtet auf die Zwischenzeiten, rechnet die nötige Endzeit im Ziel aus und drückt aufs Tempo, um kein Risiko einzugehen, wegen zu großer Verspätung disqualifiziert zu werden. Geht es Cavendish zu schnell und drohen seine Muskeln zu übersäuern, bittet er lautstark - und selten höflich - um Milde. „Beide verlassen sich hundertprozentig aufeinander“, erklärt Aldag.
Cavendish, der am Sonntag zum ersten Mal das Grüne Trikot des besten Sprinters mit nach Hause nehmen will, weiß, was er an seinem Helfer, Freund und Zimmerkollegen hat. „Er opfert sich für mich“, betont der 26-Jährige stets. Mit Grauen - und einer Portion Ironie - blickt er auf das Einzelzeitfahren am Samstag. „Ich habe Angst vor den 40 Kilometer OHNE Bernie!“, twittert Cavendish.
Teamchef Aldag muss schmunzeln, wenn er an seine Schützlinge denkt. „Die sind wie ein altes Ehepaar. Sie können nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander.“