Kurz vor Tour-Start Doping-Thema holt Radsport ein: Wut über Contador-Helfer
Düsseldorf (dpa) - Die Nachricht vom Dopingskandal aus dem Lager des umstrittenen Ex-Siegers Alberto Contador platzte mitten in die letzten Vorbereitungen und drückte erheblich auf die Vorfreude zum Start der 104. Tour de France in Düsseldorf.
Wut und Fassungslosigkeit machten sich bei Fahrern und Verantwortlichen über den positiven Test des Portugiesen André Cardoso auf das Blutdopingmittel EPO breit. „Wie blöd muss man sein, es im Jahr 2017 noch mit EPO zu versuchen? Wir sind alle im Team verärgert, dass so etwas passiert“, sagte Nikias Arndt vom deutschen Team Sunweb. Simon Geschke pflichtete ihm bei: „Es ist ganz klar, dass einer bewusst betrügen wollte, weil es EPO ist.“
So wurde der Radsport ausgerechnet wenige Tage vor dem Tour-Start von seiner dunklen Doping-Vergangenheit mal wieder eingeholt. Vor allem in Deutschland ein hochsensibles Thema, wie der in Düsseldorf unerwünschte Ex-Toursieger Jan Ullrich jüngst wieder feststellen musste und in einem Interview beklagte.
Cardoso, bei Trek-Segafredo Teamkollege des deutschen Radstars John Degenkolb und als wichtiger Berghelfer von Contador vorgesehen, wurde bei einer Trainingskontrolle am 18. Juni erwischt. Von dem 32-Jährigen gab es die branchenüblichen Unschuldsbeteuerungen. „Ich glaube an den sauberen Sport und habe mich immer als sauberer Sportler verhalten“, schrieb er auf seiner Facebook-Seite. Er sei am Boden zerstört. „Ich möchte aber betonen, dass ich nie illegale Substanzen genommen habe“, teilte Cardoso weiter mit. Er habe die Öffnung der B-Probe beantragt.
Der Radsport-Weltverband UCI sprach eine vorläufige Suspendierung gegen den Fahrer aus. Seinen Platz wird der 40-jährige Spanier Haimar Zubeldia einnehmen, der einst an der Seite des wegen Doping lebenslang gesperrten Lance Armstrong fuhr.
Unterdessen flammten die Diskussionen auf, wie sauber denn der Radsport inzwischen sei. „Ich würde sagen zu 98 Prozent. Das ist natürlich nur eine Schätzung. Aber wenn es schwarze Schafe gibt, dann sind das individuelle Aktionen. Das von Teams gesteuerte Massenbetrügen gibt es definitiv nicht mehr“, sagte Weltmeister Tony Martin im Interview der „Sport Bild“.
Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel sieht dies ein wenig anders. „Diese Zahl ist ja auch eine Dunkelziffer. Man muss sie eigentlich Beruhigungsziffer oder Einlullzahl nennen“, sagte der Nürnberger Pharmakologe der Deutschen Presse-Agentur. Das System sei immer noch löchrig. „Die spektakulären Dopingfälle bei der Tour wie Landis, Schleck oder Ullrich waren doch ziemliche Dummheiten. Diese Zeiten sind ganz offensichtlich vorbei. Wer aber glaubt, es wird nicht tagtäglich an neuen Methoden des Dopens geforscht, der täuscht sich.“
Dass nun ausgerechnet ein wichtiger Berg-Helfer von Contador erwischt wurde, sorgte für einen Beigeschmack. So ließ es sich Contadors früherer Teamchef Oleg Tinkow nicht nehmen, seine Tiraden gegen den Spanier fortzusetzen. „Hat Cardoso Blut mit Contador verwechselt? Trek schämt euch“, schrieb Tinkow auf Twitter. Bis zum vergangenen Jahr war Contador im Team des russischen Geschäftsmannes gefahren, der Tour-Sieg war aber nicht herausgesprungen, was Tinkow verärgerte.
Dreimal hatte Contador die Tour gewonnen, der letzte Triumph 2010 war ihm aber aberkannt worden - wegen Dopings. Dem Spanier war in einer Probe das muskelbildende Mittel Clenbuterol nachgewiesen worden. Der Madrilene hatte dies mit verunreinigtem Kalbfleisch zu erklären versucht - ohne Erfolg: Der Internationale Sportgerichtshof CAS sperrte ihn für zwei Jahre.
Eine CAS-Sperre hat Ullrich auch bereits hinter sich, sein Ruf ist bis heute ruiniert. „Ich bin seit mehr als zehn Jahren raus, und immer noch wird bei mir über Doping geredet. Ja, ich habe Fehler gemacht, ich habe meine Strafe bekommen, dafür gebüßt. Jeder hat doch auch eine zweite Chance verdient“, sagte Ullrich der „Bild“-Zeitung.
Er habe jüngst beim deutschen Radrennen Rund um Köln als Sportlicher Leiter aushelfen wollen, aber die Vergangenheit hole ihn immer ein. „Deshalb werde ich auch nicht als TV-Experte einsteigen. Der Profiradsport ist für mich gegessen. Ich kümmere mich lieber um die Jedermann-Fahrer. Das macht mir Spaß“, ergänzte der 43-Jährige, der vor 20 Jahren den einzigen deutschen Tour-Sieg geholt hatte.
Auch eine Funktionärs-Laufbahn komme für ihn niemals in Frage, sagte Ullrich, der sich einen Seitenhieb gegen den Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer nicht verkneifen konnte. „Ich habe keine Ahnung, wie man das Amt gut ausübt. Präsident Rudolf Scharping übrigens auch nicht.“ Ullrich veranstaltet inzwischen weltweite Radsport-Camps und ist an einer Firma für Höhenkammern beteiligt. Bei der Tour ist er nicht eingeladen, er will bei der zweiten Etappe am Straßenrand stehen.