Giro will sich sauber präsentieren
Ischia (dpa) - Die Müllabfuhr war bis früh um 05.00 Uhr beschäftigt. Neapel sollte sich zur Premiere des 96. Giro d'Italia blitzsauber präsentieren - wenigstens für die TV-Kameras am insgesamt 130 Kilometer langen Küsten-Rundkurs durch die Stadt.
Porentief rein war der Radsport noch nie, auch das unausweichlich scheinende Großreinemachen nach der Dopingbeichte Lance Armstrongs hatte bisher überschaubaren Erfolg. Auch deshalb meldeten sich mit dem Beginn des Giro die neuen deutschen Top-Radprofis zu Wort.
John Degenkolb, Tony Martin und Marcel Kittel fordern die strafrechtliche Verfolgung von dopenden Leistungssportlern in Deutschland und votieren für eine lebenslange Sperre. „Wenn es zweifelsfrei erwiesen wäre, dann wäre das absolut okay, wenn bei einer positiven Probe der Staatsanwalt anmarschiert käme“, sagte Giro-Starter Degenkolb der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Auch Martin tritt für eine härtere Bestrafung von Dopern ein: „Wer nach 2007 noch nicht begriffen hat, dass man den Sport sauber betreiben muss, der gehört sofort lebenslang gesperrt.“
Der in Madrid mit unbefriedigenden Ergebnissen zu Ende gegangene Fuentes-Prozess und die noch andauernde Verhandlung vor dem Stuttgarter Landgericht gegen Stefan Schumacher haben die Aufklärer nicht weiter und zum Teil auf die Palme gebracht. Die nach Richterbeschluss angekündigte Vernichtung der etwa 150 Blutbeutel, die laut Fuentes mutmaßlich Fußballern, Boxern und Tennisspielern zuzuordnen sein könnten, stößt nicht nur bei den Giro-Startern auf völliges Unverständnis. Der ehemalige Doper, Zeitfahr-Weltmeister und heute als Anti-Doping-Aktivist geltende David Millar setzte sich in Neapel an die Spitze der Bewegung.
„Ich weiß, dass die spanische Anti-Doping-Agentur und auch die WADA gegen das Urteil sind“, sagte Millar der Nachrichtenagentur AP. „Sie werden ihr Bestes geben, damit das Urteil nicht vollstreckt wird.“ Der zweitälteste Giro-Starter Danilo Hondo hält auch nichts von der merkwürdigen Aktion in Spanien. „Ein paar namhafte Radprofis wurden herausgezogen und der Rest soll geschützt werden: Das ist unmöglich“, erklärte der 39-Jährige.
Hondo hat eine Veränderung festgestellt. „Der Radsport ist auf einem guten Weg. Das fühlt sich jedenfalls so an“, sagte der Routinier aus der Lausitz, der im Team Gerolsteiner 2005 für den ersten Dopingfall gesorgt hatte. Die Fahrer könnten heute „mit ihren Ressourcen, wir sagen 'Benzin', besser haushalten“ und der „Umgang mit der Medizin ist klarer“. Den Stuttgarter Prozess gegen Schumacher, bei dem der Ex-Teamchef Hans-Michael Holczer als Zeuge aussagte und bei seiner Version blieb, von der Doping-Praxis in der Mannschaft nichts bemerkt zu haben, hält er für eine „Farce“.
Die Wahrheit werde nicht herauskommen, und er rechne nicht mit einer Verurteilung Schumachers, weil der seinen ehemaligen Chef gar nicht betrogen haben könne, meinte Hondo. Den gänzlich Ahnungslosen nimmt er Holczer nicht ab.
Das in Deutschland praktizierte Kontrollsystem sei alternativlos, bemerkte der 24 Jahre alte Kittel: „Aber es gibt im Interesse des Sports vieles, was noch verbesserungswürdig ist. Das Wichtigste: Wir brauchen ein Anti-Doping-Gesetz. Es muss die Möglichkeit geben, strafrechtlich gegen Doper vorzugehen.“ Derzeit sind Doping-Vergehen in Deutschland im Arzneimittel-Gesetz geregelt, anders als beispielsweise in Italien und Frankreich, wo schon seit Jahren eine Anti-Doping-Gesetzgebung in Kraft ist.
Auch Tour-de-France-Direktor Christian Prudhomme sieht leichte Anzeichen der Besserung: Der Radsport sei nicht mehr „das hässliche Entlein, auf das mit Fingern gezeigt wird“. Die Armstrong-Zeiten seien vorbei. „Radsport ist nicht die perfekte Welt, aber er hat sich geändert“, sagte der Patron, der die Branche Ende Juni auf Korsika zum 100. Tour-Jubiläum empfängt.
Wie im Jahr 2008, als Schumacher und andere Doper aufflogen, ist diesmal wieder die französische Anti-Doping-Agentur AFLD neben dem Weltverband UCI für die Kontrollen zuständig - ein gutes Zeichen.