Hunderttausende feiern Tour-Volksfest in den Alpen

Chorges (dpa) - Karneval der verschärften Art, mitten im Juli, in den Alpen: Das ganz besondere Radsport-Volksfest findet auf der 13,8 Kilometer langen Steigung hoch zur Skistation L'Alpe d'Huez statt.

Feier-Experten aus Köln oder Mainz würden sicher staunen, welche Blüten die Ausgelassenheit während der Tour de France treibt. In diesem Jahr, beim 28. Aufstieg in der 110-jährigen Tourgeschichte, sind die Ausmaße der Begeisterung an der schmalen Straße rekordverdächtig. Jubiläumsstimmung eben.

In ihren schlimmsten Befürchtungen hatten die Veranstalter der 100. Tour de France im Vorfeld mit rund 1,5 Millionen Fans gerechnet. Schon am Donnerstagmorgen bahnten sich Hunderttausende von Hobbyfahrern auf Rädern sowie Fußgänger zwischen dem PS-starken Tour-Begleittross den Weg nach oben. Die Prozession war bunt und wild, vom Kleinkind bis zum Greis erlag alles dem Tourfieber. Die Krankheitssymptome waren verschieden stark ausgeprägt.

Es gab Radler mit hellblonden Perücken, die sich Plastikkrokodile auf den Rücken geschnallt hatten oder ein Paar Skier. Es gab junge Männer in dunkelblauen Ganzkörperanzügen aus dünnem Kunststoff. Sie brauchten weder Löcher zum Atmen noch zum Sehen. Sie wurden passiert von einer Dame in gesetztem Alter auf einem Tandem. Hinter ihr strampelte ein etwa vierjähriges Mädchen ganz tapfer mit hochrotem Kopf. Vielleicht ein Ausflug mit der Oma? Die Steigung der Straße an dieser Stelle beträgt rund zehn Prozent.

Es gab offensichtlich britische Fans mit riesigen gelben Brillen im Froome-Schriftzug, und es gab in der siebten der 21 angezeigten Serpentinen den Fanblock der Niederländer. Die Karnevalshochburg von L'Alpe d'Huez, am Friedhof gelegen. Alles in Orange, das Bier floss in Strömen, und ein riesiger Pfeil auf ein Plakat gemalt sollte Spitzenreiter Christopher Froome, der etwa fünf Stunden später erwartet wurde, die Richtung weisen. Er zeigte nach links, tief hinunter ins Tal.

In den 70er und 80er Jahren dominierten die Niederländer. Acht Etappensiege von niederländischen Profis haben den Anstieg zum „Berg der Holländer“ gemacht, der letzte Sieg durch Gert-Jan Theunisse liegt allerdings schon 24 Jahre zurück. Auch in diesem Jahr waren die „Oranje“-Fans in der Überzahl. Aus den Niederlanden waren eigens Polizisten angereist, damit die bierselige Stimmung nicht zu sehr aus den Fugen geriet. Seit den inzwischen entmystifizierten Ullrich-Zeiten machen sich deutsche Fans rar. Ein kleines, selbstgemaltes Pappschild sollte dennoch Mut spenden: „Andreas Klöden - Du schaffst es“, steht darauf.

Alle Großen siegten auf 1850 Meter Höhe in dem alles andere als malerischen Skiort: Fausto Coppi, Bernard Hinault Hand in Hand mit seinem Erzfeind Greg LeMond, Marco Pantani, Lance Armstrong. Die Namen der Etappensieger sind in den 21 rücklaufend nummerierten Kehren auf Tafeln verewigt. Sogar das Schild mit dem Namen des entlarvten Dopers Armstrong blieb hängen.

Für Organisatoren und Zuschauer des großen Tour-Jubiläums war dieser Tag die Krönung der Feierlichkeiten zur 100. Auflage des Rennens. Bereits am Mittwoch war entlang der Strecke hinauf nach L'Alpe d'Huez kein Platz mehr zu bekommen. Zelte und Wohnmobile belagerten jedes Fleckchen Erde. Die Aussicht auf die grandiose Stimmung in dieser „Südkurve des Radsports“ weckte Vorfreude - und schürte die Angst vor Unfällen oder anderen gravierenden Zwischenfällen.