Tour wieder im Doping-Schatten - Hypothek Contador
Berlin (dpa) - Dem Topfavorit droht eine anschließende Verurteilung, ARD und ZDF übertragen letztmalig live, und Sponsoren-Desinteresse sorgt erstmals seit 1992 für ein Rennen ohne deutsches Team: Das Dauerthema Doping beschädigt auch die am 2. Juli beginnende 98. Tour de France.
Dabei hat das wichtigste Radrennen der Welt noch mehr zu bieten als Widersprüche und Manipulationszweifel. Bis zum 24. Juli versprechen eine Top-Besetzung, 23 Anstiege, vier Bergankünfte und wieder ein Teamzeitfahren Stoff für Dramatik auf den insgesamt 3430 Kilometern quer durch Frankreich und einem Abstecher nach Italien.
Die Fülle der Belastungen lässt aber kaum auf ein unbeschwertes Sommertheater hoffen, auch wenn ein Großteil der Fans frohen Mutes dem Saisonhöhepunkt auf zwei Rädern entgegenfiebern dürfte. Die Veranstalter können am Straßenrand wieder mit einem Auflauf von mehr als 30 Millionen Menschen rechnen und verkünden bereits stolz TV- Übertragungen in 190 Länder - darunter Thailand und Südkorea. Der Marke Tour de France ist vielerorts so leicht nichts anzuhaben.
Trotzdem wiegt der Fall Alberto Contador als schwere Hypothek. Sollte der 28-jährige Topfavorit und Vorjahressieger am 3. August vom Internationalen Sportgerichtshof CAS verurteilt werden, droht dem Spanier eine zweijährige Sperre und die Aberkennung seiner Erfolge seit Juli 2010. Das würde bedeuten: Sowohl der vorjährige Toursieg als auch sein Erfolg beim Giro d'Italia im Mai dieses Jahres würden gestrichen - und auch der vierte Tour-Triumph, sollte der Spanier am 24. Juli wie erwartet im Gelben Trikot über die Champs Élysées radeln. Keine guten Aussichten für das größte und bedeutendste Radrennen der Welt.
Die Reizfigur aus Pinto, die schon 2006 mit dem mutmaßlichen Doping-Mediziner Eufemiano Fuentes in Verbindung gebracht wurde, war bei der Tour im Vorjahr positiv auf das Kälbermastmittel Clenbuterol getestet worden. Contador leugnet Doping und spricht von einem kontaminierten Steak. Sein Landesverband glaubte ihm und sprach ihn rechtzeitig zum Saisonbeginn 2011 frei. Dagegen klagten Weltverband UCI und Welt-Anti-Doping-Agentur WADA vor dem Sportgerichtshof CAS, der den ursprünglichen Prozesstermin allerdings verschob. Statt vor dem Tour-Start im Juni wird nun im August verhandelt.
In Deutschland versetzte das angekündigte Aus der öffentlich- rechtlichen TV-Anstalten für 2012 dem Radsport einen schweren Schlag. Die anhaltende Dopingproblematik dürfte mit zu der Entscheidung von ARD und ZDF beigetragen haben, in diesem Jahr letztmals live von der „Großen Schleife“ zu berichten. Einzig eine erfolgreiche Tour der deutschen Radprofis könnte das beschlossene TV-Aus wieder ins Wanken bringen, wie Wortmeldungen aus den Anstalten andeuten.
Etappensiege und an einigen Tagen sogar das Gelbe Trikot sind etwa Tony Martin (HTC Highroad) oder Routinier Andreas Klöden (RadioShack) durchaus zuzutrauen. Den Titelverteidiger werden aber die beiden ebenso wenig angreifen können wie der ambitionierte Andy Schleck aus Luxemburg (Leopard Trek) - wenn Contador nur annähernd so stark fährt wie im Mai beim Giro d'Italia. „Er gewinnt wieder“ - darauf legte sich die deutsche Zeitfahr-Hoffnung Martin bereits fest.
Allerdings gibt Hans-Michael Holczer, ehemals Teamchef des Rennstalls Gerolsteiner, zu bedenken: „Contador wird der am strengsten und häufigsten kontrollierte Fahrer sein. Mal sehen, was er imstande ist zu leisten unter der besonderen Aufsicht.“ Holczer selbst hatte vor zwei Jahren am eigenen Team erfahren, wie schnell sich Sponsoren wegen Dopings aus dem Sport zurückziehen. Nach dem Aus des Teams Milram im Jahr 2010 steht in diesem Sommer zum ersten Mal seit 19 Jahren kein deutscher Rennstall am Tour-Start.
Contador dagegen schon - obwohl feststeht, dass die Veranstalter durch ein klares Urteil des Sportgerichtshofs CAS lieber vor der Tour Gewissheit über den Spanier gehabt hätten. Eine mögliche Ausladung riskierten sie nicht und hielten sich an die Worte des IOC-Chefs Jacques Rogge. Der höchste Sportfunktionär der Welt versteht zwar die Contador-Zweifler, gab aber auch den rechtsstaatlichen Grundsatz zum Besten: „Auch für ihn muss zunächst die Unschuldsvermutung gelten.“