Vertreter der neuen Generation: Tony Martin
Tarbes. Immer muss gewartet werden auf Tony Martin. "Where is Anton", hörtman auch aus dem Teambus auf der Avenue de la Resistance in Saint Girons,vermutlich blökt das Sprintstar Mark Cavendish, dessen Charakter undArbeitseinstellung nicht gerade von Geduld geprägt ist.
Selbst MichaelRogers hat sich verspätet mit seinem steifen Rücken gebrechlich insluxeriöse Vehikel nach der 8. Etappe geschleppt, die komplette Garde vonTeam Columbia-HTC, erstanden einst aus den Ruinen von T-Mobile Team, harrtder Dinge. Als es dem Busfahrer zu bunt wird, weil die Karawane der weiteren19 Rennställe in Bewegung kommt, findet endlich auch der 24-Jährige den Wegzu seiner Mannschaft. Siegerehrung, für das Weiße Trikot des besten Fahrersunter 25 Jahren, Dopingkontrolle und Interviews liegen hinter demEschborner. Er nimmt das alles, obwohl erst im zweiten Jahr Berufsfahrer,mit stoischer Ruhe.
"Ich fühle mich als glaubhafter Vertreter einer neuen Generation", lautetsein Mantra. Er trägt es offensiv vor sich her und weiß um die Zweifel anseinem Sport, seiner Person, weil er überaus erfolgreich ist. Nein, der neueJan Ullrich will er nicht sein, obwohl auch der gefallene Ex-ChampionUllrich bei der ersten Tour gleich die Wertung der jungen Kerle anführte.Doch bitte schön bei der Sache bleiben, er sei Tony Martin.In Erfurt geboren, flüchtete sein Vater 1989 über Ungarn in den Westen. DerFilius schlug nach der Schule eine ordentliche Ausbildung ein, er wurdePolizist in Eschborn, nach einem Lehrgang im Herbst wird er praktischverbeamtet sein. Unvorstellbar ist damit eigentlich auch, dass ein Vertretervon Recht und Ordnung in die Doping-Trickkiste greifen kann. Dieser innereWiderspruch ist für Tony Martin nicht auslebbar, sagt er. Und: "Ich habemeine Perspektive bei der Polizei. Die setze ich nicht aufs Spiel."
Eigentlich wollte Linus Gerdemann den bislang vor allem alsZeitfahrspezialisten aufgefallenen Martin vor der Saison zu Team Milrammitnehmen. Doch Columbia-Boss Bob Stapleton winkte ab: "Wir wollen ganzlange mit Tony zusammenarbeiten." Da winkt ein lukrativer Mehrjahres-Vertragnach dem Spektakel in Frankreich, obwohl Martin stets erklärt, dass er nichtfür Geld und Ruhm fahre.
In den letzten Monaten trieb der Zweite der Tour de Suisse und momentanGesamtsiebte der Frankreich-Rundfahrt seinen Preis jedenfalls radikal in dieHöhe. "Vor der Tour wusste Alberto Contador überhaupt nicht, wer Tony Martinist. Nach den Pyrenäen wird er einen Namen genau kennen", umschreibtSportchef Rolf Aldag die kometenhafte Karriere des schnellsten PolizistenDeutschlands auf zwei Rädern.
Der Westfale singt das hohe Lied der Hymne über den 1,85 Meter großenSchlaks, der sein Gewicht an die 70 Kilogramm-Marke gesenkt hat.Supereinfach sei die Zusammenarbeit, pflegeleicht der Typ, ein Liebling fürJedermann, nun müsse er sich die Zähne ausbeißen an Andy Schleck und RomanKreuziger, die ebenfalls das Weiße Trikot haben wollen. Aber, so Aldag: "Inden Alpen ist vieles möglich. Aber der Anton hat nichts zu verlieren." Einegute Aussicht für den Hoffnungsträger, Schwächen werden geduldet. Noch.