„Vom Bus zum TGV“: Der Wandel des Orica-GreenEdge-Teams
Marseille (dpa) - Der Mann im Känguru-Kostüm hatte es bis in eine Bar am Justizpalast geschafft. Trinkfeste australische Fans feierten in der Altstadt von Nizza ausgelassen ihr Orica-GreenEdge-Team und Simon Gerrans, den Mann in Gelb.
Die Mannschaft des Wohnmobil-Herstellers Gerry Ryan hat die Schlagzeilen der 100. Tour de France zum Wochenbeginn geprägt. Erst die Bus-Affäre, dann zwei Etappensiege und die Eroberung des Maillot Jaune auf der Promenade des Anglais: Den erstaunlichen Wandel des Teams in der öffentlichen Wahrnehmung brachte die „L'Équipe“ auf die Kurzformel „Vom Bus zum TGV“.
Auf der Prachtstraße am Mittelmeer raste weder der Mannschaftsweltmeister Omega Pharma-Quick Step mit dem verpflasterten Tony Martin, noch das Favoriten-Team von Sky zum Sieg im kollektiven Zeitfahren über 25 Kilometer. Orica-GreeEdge machte das Rennen in der Rekordzeit von 57,841 Kilometern im Stundenmittel. Damit waren die neun Profis schneller als das ominöse Discovery Channel-Team mit Lance Armstrong 2005 (57,324 auf über doppelt so langer Strecke). Die großen Motoren im feinabgestimmten Gefüge des australischen TGV waren Rekordteilnehmer Stuart O'Grady, Verfolgungs-Weltmeister Cameron Meyer und Olympiasieger Brett Lancaster.
Zum Auftakt der Jubiläums-Tour hatte sich noch Hohn und Spott über die Australier ergossen. Atxa Garikoitz, der baskische Fahrer des riesigen Mannschaftsbusses, hatte im Ziel in Bastia am vergangenen Samstag für Chaos gesorgt. Er hatte mit seinem Fahrzeug die Zielumrandung gerammt. Das Monstrum war nicht mehr vor und auch nicht zurück zu bewegen. Das rasende Fahrerfeld befand sich 18 Kilometer vor dem Ziel - die Veranstalter rotierten, Garikoitz war der Verzweiflung nahe. Quasi in letzter Sekunde konnte der Zielbereich doch noch freigemacht werden.
„Wir sind Freunde und kennen uns schon lange“, beschrieb Gerrans, im Frühjahr 2012 Sieger von Mailand-San Remo, die Erfolgsformel. „Ein Australier in Gelb - das ist ein Traum“, schwärmte Sportdirektor Matt White, dessen Strafe als Doping-Geständiger aus Zeiten der Armstrong-Ära nur sechs Monate betrug, weil er mit den Anti-Doping-Behörden seines Landes zusammengearbeitet hatte. So offen war sein sportlicher Leiter Neil Stephens nicht. Als Mitglied der Festina-Mannschaft bei der Skandaltour 1998 behauptet er weiterhin, nicht wissentlich gedopt zu haben. In den verabreichten Spritzen habe er stets wirksame Vitamine vermutet.
Bei all dem Jubel blieben Omega Pharma-Quick Step und besonders der verletzte Tony Martin traurig zurück. Im Ziel fehlten nur 76 Hundertstel, oder 12,2 Meter zum Sieg, wie die „L'Équipe“ errechnete. „Wir hätten den Erfolg jetzt gut vertragen können“, schrieb Martin auf seiner Internetpage. Nach der Etappe sorgte der Weltverband für ein weiteres kleines Ärgernis. Die UCI hatte eine „befremdliche Strafe“ (Teamanager Rolf Aldag) von 2000 Schweizer Franken ausgesprochen, weil der Rahmen seiner Rennmaschine falsch lackiert war. Regenbogenfarben für den Weltmeister hätten nicht sein dürfen, obwohl Martin den Titel sowohl im Einzel- als auch im Teamzeitfahren hält.