Wandel in Radsport - Tirreno-Adriatico in neuem Licht

Arezzo (dpa) - Der Frühling nach dem Geständniswinter im Profi-Radsport empfängt bei der Fernfahrt Tirreno-Adriatico eine sehr gemischte Gemeinde. Die neue Atmosphäre ist zum Rundfahrt-Auftakt in Italien zu spüren.

Es gibt die Fahrer und Funktionäre des alten Schlags, die jeden Blick in die Vergangenheit vermeiden wollen. Es gibt nachdenkliche Geister, die Änderungen wollen, aber auf eine helfende Hand warten. Und es gibt welche, denen die Maßnahmen nicht weit genug gehen. Der Wandel - nicht gerade in Sprintertempo, aber immerhin - ist spürbar.

Ganz rein und weiß fährt der Bus des Teams Blanco in die Startzone der 3. Etappe in Arezzo. Die Farbe ist Symbol. Der Teamsponsor Rabobank hat seinen Namen getilgt, weil er mit den auch von seinen Geldern bezahlten Dopingmachenschaften nichts mehr zu tun haben wollte. Blanco ist gelöschte Vergangenheit und zugleich ein Wechsel auf die Zukunft. Denn das niederländische Team hat gemeinsam mit dem Radsportverband KNWU und den beiden anderen Profirennställen des Landes eine Art Wahrheitskommission eingerichtet.

„Bis 1. April müssen alle Angestellten der Teams Blanco, Vacansoleil und Argos-Shimano eine Erklärung abgeben, ob sie in der Vergangenheit gedopt haben oder nicht“, berichtete Marc Reef, Sportlicher Leiter im Argos-Team um den Thüringer Sprinter John Degenkolb. Das Verfahren betrifft Fahrer, Sportliche Leiter, Masseure und alle weiteren Teammitglieder.

Wer auspackt, erhält für Vergehen bis zum Stichtag 1. Januar 2008 eine sechsmonatige Sperre sowie eine Strafe von drei Monatsgehältern. Wer schweigt, aber später erwischt wird, soll umgehend von den Teams gekündigt werden. Für die Zeit ab 2008 sind individuelle Regelungen vorgesehen. Das Verfahren ist laut Reef auch für ausländische Profis verpflichtend. Seit Januar hat diese Initiative zu einer kleinen Geständniskaskade vor allem bei früheren Rabobank-Profis geführt.

Das Modell Niederlande könnte den Radsport nachhaltig verändern. Blancos Sportlicher Leiter Nico Verhoeven sieht es als „notwendige, wenngleich nicht erfreuliche Maßnahme“ an. Er gibt zu, nicht zu wissen, ob er in Zukunft auf den einen oder anderen weiteren Profi für sechs Monate verzichten muss. Aber der Mann, der 1987 mit einem Etappensieg bei der Tour de France seinen größten Erfolg feierte, in der dann einsetzenden EPO-Ära jedoch meist hinterherfuhr, hofft, dass das flächendeckende Doping der Vergangenheit angehört.

Verhaltener werden solche Initiativen beim Team Saxo-Tinkoff um Alberto Contador aufgenommen. Der Sportliche Leiter Fabrizio Guidi hat für Vergangenheitsbewältigung wenig übrig. „Mein Job ist es, mich auf die Rennen zu konzentrieren. Politik kümmert mich nicht“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Contadors wahrscheinlich ärgster Rivale bei der diesjährigen Tour, Chris Froome, ist auch ein Freund dieser Philosophie. „Ich habe mich um all das nicht gekümmert“, sagt er freundlich. Valerio Piva, Sportlicher Leiter beim russischen Team Katusha, gesteht immerhin ein, dass der Radsport ein Dopingproblem hat. Er mokiert sich aber über die Aufarbeitungsversuche: „Wenn das so weitergeht, landen wir noch bei den Zeiten von Coppi.“

Die Lösung erhofft er sich ausgerechnet von der „Regierung des Radsports, der UCI“. Weil der Weltverband aber nur sehr zögerlich agiert, erachtet Sky-Manager Dave Brailsford den Vorstoß aus den Niederlanden für nützlich. „Eine generelle Lösung wäre zwar nötig. Aber solange die nicht da ist, muss man es mit individuellen Ansätzen versuchen. Das holländische Modell ist interessant“, sagte der Rennstallchef von Froome und Tour-Sieger Bradley Wiggins.

Nicht weit genug geht Marc Keef der Ansatz in seiner Heimat. „Was wir an den Vereinbarungen vermissen, ist, dass sie nicht die Zukunft ins Auge fassen. Natürlich müssen wir wissen, was in der Vergangenheit passiert ist. Aber wir wollen es nutzen, um sicherzustellen, dass es in Zukunft nicht mehr passiert“, sagt der Sportliche Leiter von Argos der dpa.